Chapter 5 No.5

Es gibt Kenner des Altertums, welche die Gruppe Laokoon zwar für ein Werk griechischer Meister, aber aus der Zeit der Kaiser halten, weil sie glauben, da? der Virgilische Laokoon dabei zum Vorbilde gedienet habe. Ich will von den ?ltern Gelehrten, die dieser Meinung gewesen sind, nur den Bartholom?us Marliani 1), und von den neuern den Montfaucon 2) nennen.

Sie fanden ohne Zweifel zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters eine so besondere übereinstimmung, da? es ihnen unm?glich dünkte, da? beide von ohngef?hr auf einerlei Umst?nde sollten gefallen sein, die sich nichts weniger, als von selbst darbieten. Dabei setzten sie voraus, da? wenn es auf die Ehre der Erfindung und des ersten Gedankens ankomme, die Wahrscheinlichkeit für den Dichter ungleich gr??er sei, als für den Künstler.

{1. Topographiae Urbis Romae libr. IV. cap. 14. Et quanquam hi (Agesander et Polydorus et Athenodorus Rhodii) ex Virgilii descriptione statuam hanc formavisse videntur etc.}

{2. Suppl. aux Ant. Expliq. T. I. p. 242. Il semble qu'Agésandre, Polydore et Athénodore, qui en furent les ouvriers, aient travaillé comme à l'envie, pour laisser un monument, qui répondait à l'incomparable description qu'a fait Virgile de Laocoon etc.}

Nur scheinen sie vergessen zu haben, da? ein dritter Fall m?glich sei. Denn vielleicht hat der Dichter ebensowenig den Künstler, als der Künstler den Dichter nachgeahmt, sondern beide haben aus einerlei ?lteren Quelle gesch?pft. Nach dem Macrobius würde Pisander diese ?ltere Quelle sein k?nnen 3). Denn als die Werke dieses griechischen Dichters noch vorhanden waren, war es schulkundig, pueris decantatum, da? der R?mer die ganze Eroberung und Zerst?rung Iliums, sein ganzes zweites Buch, aus ihm nicht sowohl nachgeahmt, als treulich übersetzt habe. W?re nun also Pisander auch in der Geschichte des Laokoon Virgils Vorg?nger gewesen, so brauchten die griechischen Künstler ihre Anleitung nicht aus einem lateinischen Dichter zu holen, und die Mutma?ung von ihrem Zeitalter gründet sich auf nichts.

{3. Saturnal. lib. V. cap. 2. Quae Virgilius traxit a Graecis, dicturumne me putetis quae vulgo nota sunt? quod Theocritum sibi fecerit pastoralis operis autorem, ruralis Hesiodum? et quod in ipsis Georgicis tempestatis serenitatisque signa de Arati Phaenomenis traxerit? vel quod eversionem Trojae, cum Sinone suo, et equo ligneo, ceterisque omnibus, quae librum secundum faciunt, a Pisandro paene ad verbum transcripserit? qui inter Graecos poetas eminet opere, quod a nuptiis Jovis et Junonis incipiens universas historias, quae mediis omnibus sacculis usque ad aetatem ipsius Pisandri contigerunt, in unam seriem coactas redegerit, et unum ex diversis hiatibus temporum corpus effecerit? in quo opere inter historias ceteras interitus quoque Trojae in hunc modum relatus est. Quae fideliter Maro interpretando, fabricatus est sibi Iliacae urbis ruinam. Sed et haec et talia ut pueris decantata praetereo.}

Indes wenn ich notwendig die Meinung des Marliani und Montfaucon behaupten mü?te, so würde ich ihnen folgende Ausflucht leihen. Pisanders Gedichte sind verloren; wie die Geschichte des Laokoon von ihm erz?hlet worden, l??t sich mit Gewi?heit nicht sagen; es ist aber wahrscheinlich, da? es mit eben den Umst?nden geschehen sei, von welchen wir noch itzt bei griechischen Schriftstellern Spuren finden. Nun kommen aber diese mit der Erz?hlung des Virgils im geringsten nicht überein, sondern der r?mische Dichter mu? die griechische Tradition v?llig nach seinem Gutdünken umgeschmolzen haben. Wie er das Unglück des Laokoon erz?hlet, so ist es seine eigene Erfindung; folglich, wenn die Künstler in ihrer Vorstellung mit ihm harmonieren, so k?nnen sie nicht wohl anders als nach seiner Zeit gelebt, und nach seinem Vorbilde gearbeitet haben.

Quintus Calaber l??t zwar den Laokoon einen gleichen Verdacht, wie Virgil, wider das h?lzerne Pferd bezeigen; allein der Zorn der Minerva, welchen sich dieser dadurch zuziehet, ?u?ert sich bei ihm ganz anders. Die Erde erbebt unter dem warnenden Trojaner; Schrecken und Angst überfallen ihn; ein brennender Schmerz tobet in seinen Augen; sein Gehirn leidet; er raset; er verblindet. Erst, da er blind noch nicht aufh?rt, die Verbrennung des h?lzernen Pferdes anzuraten, sendet Minerva zwei schreckliche Drachen, die aber blo? die Kinder des Laokoon ergreifen. Umsonst strecken diese die H?nde nach ihrem Vater aus; der arme blinde Mann kann ihnen nicht helfen; sie werden zerfleischt, und die Schlangen schlupfen in die Erde. Dem Laokoon selbst geschieht von ihnen nichts; und da? dieser Umstand dem Quintus 4) nicht eigen, sondern vielmehr allgemein angenommen müsse gewesen sein, bezeiget eine Stelle des Lykophron, wo diese Schlangen 5) das Beiwort der Kinderfresser führen.

{4. Paralip. lib. XII. v. 398-408 et v. 439-474.}

{5. Oder vielmehr Schlange: denn Lykophron scheinet nur eine angenommen zu haben:

Kai paidobrvtoV porkewV nhsouV diplaV.}

War er aber, dieser Umstand, bei den Griechen allgemein angenommen, so würden sich griechische Künstler schwerlich erkühnt haben, von ihm abzuweichen, und schwerlich würde es sich getroffen haben, da? sie auf eben die Art wie ein r?mischer Dichter abgewichen w?ren, wenn sie diesen Dichter nicht gekannt h?tten, wenn sie vielleicht nicht den ausdrücklichen Auftrag gehabt h?tten, nach ihm zu arbeiten. Auf diesem Punkte, meine ich, mü?te man bestehen, wenn man den Marliani und Montfaucon verteidigen wollte. Virgil ist der erste und einzige 6), welcher sowohl Vater als Kinder von den Schlangen umbringen l??t; die Bildhauer tun dieses gleichfalls, da sie es doch als Griechen nicht h?tten tun sollen: also ist es wahrscheinlich, da? sie es auf Veranlassung des Virgils getan haben.

{6. Ich erinnere mich, da? man das Gem?lde hierwider anführen k?nnte, welches Eumolp bei dem Petron auslegt. Es stellte die Zerst?rung von Troja, und besonders die Geschichte des Laokoon, vollkommen so vor, als sie Virgil erz?hlet; und da in der n?mlichen Galerie zu Neapel, in der es stand, andere alte Gem?lde vom Zeuxis, Protogenes, Apelles waren, so lie?e sich vermuten, da? es gleichfalls ein altes griechisches Gem?lde gewesen sei. Allein man erlaube mir, einen Romandichter für keinen Historikus halten zu dürfen. Diese Galerie, und dieses Gem?lde, und dieser Eumolp haben, allem Ansehen nach, nirgends als in der Phantasie des Petrons existieret. Nichts verr?t ihre g?nzliche Erdichtung deutlicher, als die offenbaren Spuren einer beinahe schülerm??igen Nachahmung der Virgilischen Beschreibung. Es wird sich der Mühe verlohnen, die Vergleichung anzustellen. So Virgil: (Aeneid. lib. II. 199-224.)

Hic aliud majus miseris multoque tremendum

Objicitur magis, atque improvida pectora turbat.

Laocoon, ductus Neptuno sorte sacerdos,

Solemnis taurum ingentem mactabat ad aras.

Ecce autem gemini a Tenedo tranquilla per alta

(Horresco referens) immensis orbibus angues

Incumbunt pelago, pariterque ad litora tendunt:

Pectora quorum inter fluctus arrecta, jubaeque

Sanguineae exsuperant undas: pars cetera pontum

Pone legit, sinuatque immensa volumine terga.

Fit sonitus spumante salo: jamque arva tenebant,

Ardentesque oculos suffecti sanguine et igni

Sibila lambebant linguis vibrantibus ora.

Diffugimus visu exsangues. Illi agmine certo

Laocoonta petunt, et primum parva duorum

Corpora natorum serpens amplexus uterque

Implicat, et miseros morsu depascitur artus.

Post ipsum, auxilio subeuntem ac tela ferentem,

Corripiunt, spirisque ligant ingentibus: et jam

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum

Terga dati, superant capite et cervicibus altis.

Ille simul manibus tendit divellere nodos,

Perfusus sanie vittas atroque veneno:

Clamores simul horrendos ad sidera tollit.

Quales mugitus, fugit cum saucius aram

Taurus et incertam excussit cervice securim.

Und so Eumolp, (von dem man sagen k?nnte, da? es ihm wie allen Poeten aus dem Stegreife ergangen sei: ihr Ged?chtnis hat immer an ihren Versen ebensoviel Anteil, als ihre Einbildung):

Ecce alia monstra. Celsa qua Tenedos mare

Dorso repellit, tumida consurgunt freta,

Undaque resultat scissa tranquillo minor.

Qualis silenti nocte remorum sonus.

Longe refertur, cum premunt classes mare,

Pulsumque marmor abiete imposita gemit.

Respicimus, angues orbibus geminis ferunt

Ad saxa fluctus: tumida quorum pectora

Rates ut altae, lateribus spumas agunt:

Dant caudae sonitum; liberae ponto jubae

Coruscant luminibus, fulmineum jubar

Incendit aequor, sibilisque undae tremunt.

Stupuere mentes. Infulis stabant sacri

Phrygioque cultu gemina nati pignora

Laocoonte, quos repente tergoribus ligant

Angues corusci: parvulas illi manus

Ad ora referunt: neuter auxilio sibi

Uterque fratri transtulit pias vices,

Morsque ipsa miseros mutuo perdit metu.

Accumulat ecce liber?m funus parens,

Infirmus auxiliator; invadunt virum

Jam morte pasti, membraque ad terram trahunt.

Jacet sacerdos inter aras victima.

Die Hauptzüge sind in beiden Stellen eben dieselben, und verschiedenes ist mit den n?mlichen Worten ausgedrückt. Doch das sind Kleinigkeiten, die von selbst in die Augen fallen. Es gibt andere Kennzeichen der Nachahmung, die feiner, aber nicht weniger sicher sind. Ist der Nachahmer ein Mann, der sich etwas zutrauet, so ahmet er selten nach, ohne versch?nern zu wollen; und wenn ihm dieses Versch?nern, nach seiner Meinung, geglückt ist, so ist er Fuchs genug, seine Fu?tapfen, die den Weg, welchen er hergekommen, verraten würden, mit dem Schwanze zuzukehren. Aber eben diese eitle Begierde zu versch?nern, und diese Behutsamkeit Original zu scheinen, entdeckt ihn. Denn sein Versch?nern ist nichts als übertreibung und unnatürliches Raffinieren. Virgil sagt, sanguineae jubae: Petron, liberae jubae luminibus coruscant. Virgil, ardentes oculos suffecti sanguine er igni: Petron, fulmineum jubar incendit aequor. Virgil, fit sonitus spumante salo: Petron, sibilis undae tremunt. So geht der Nachahmer immer aus dem Gro?en ins Ungeheuere; aus dem Wunderbaren ins Unm?gliche. Die von den Schlangen umwundenen Knaben sind dem Virgil ein Parergon, das er mit wenigen bedeutenden Strichen hinsetzt, in welchen man nichts als ihr Unverm?gen und ihren Jammer erkennet. Petron malt dieses Nebenwerk aus, und macht aus den Knaben ein Paar heldenmütige Seelen,

-neuter auxilio sibi, Uterque fratri transtulit pias vices, Morsque ipsa miseros mutuo perdit metu.

Wer erwartet von Menschen, von Kindern, diese Selbstverleugnung? Wie viel besser kannte der Grieche die Natur, (Quintus Calaber lib. XII. v. 459-461.) welcher, bei Erscheinung der schrecklichen Schlangen, sogar die Mütter ihrer Kinder vergessen l??t, so sehr war jedes nur auf seine eigene Erhaltung bedacht.

-enJa gunaikeV Oimwzon, kai pou tiV ewn epelhsato teknwn, Auth aleuomenh stugeron moron-

Zu verbergen sucht sich der Nachahmer gemeiniglich dadurch, da? er den Gegenst?nden eine andere Beleuchtung gibt, die Schatten des Originals heraus-, und die Lichter zurücktreibt. Virgil gibt sich Mühe, die Gr??e der Schlangen recht sichtbar zu machen, weil von dieser Gr??e die Wahrscheinlichkeit der folgenden Erscheinung abh?ngt; das Ger?usche, welches sie verursachen, ist nur eine Nebenidee, und bestimmt, den Begriff der Gr??e auch dadurch lebhafter zu machen. Petron hingegen macht diese Nebenidee zur Hauptsache, beschreibt das Ger?usch mit aller m?glichen üppigkeit, und vergi?t die Schilderung der Gr??e so sehr, da? wir sie nur fast aus dem Ger?usche schlie?en müssen. Es ist schwerlich zu glauben, da? er in diese Ungeschicklichkeit verfallen w?re, wenn er blo? aus seiner Einbildung geschildert, und kein Muster vor sich gehabt h?tte, dem er nachzeichnen, dem er aber nachgezeichnet zu haben, nicht verraten wollen. So kann man zuverl?ssig jedes poetische Gem?lde, das in kleinen Z?gen überladen, und in den gro?en fehlerhaft ist, für eine verunglückte Nachahmung halten, es mag sonst so viele kleine Sch?nheiten haben als es will, und das Original mag sich lassen angeben k?nnen oder nicht.}

Ich empfinde sehr wohl, wieviel dieser Wahrscheinlichkeit zur historischen Gewi?heit mangelt. Aber da ich auch nichts Historisches weiter daraus schlie?en will, so glaube ich wenigstens, da? man sie als eine Hypothesis kann gelten lassen, nach welcher der Kritikus seine Betrachtungen anstellen darf. Bewiesen oder nicht bewiesen, da? die Bildhauer dem Virgil nachgearbeitet haben, ich will es blo? annehmen, um zu sehen, wie sie ihm sodann nachgearbeitet h?tten. über das Geschrei habe ich mich schon erkl?rt. Vielleicht, da? mich die weitere Vergleichung auf nicht weniger unterrichtende Bemerkungen leitet.

Der Einfall, den Vater mit seinen beiden S?hnen durch die m?rdrischen Schlangen in einen Knoten zu schürzen, ist ohnstreitig ein sehr glücklicher Einfall, der von einer ungemein malerischen Phantasie zeuget. Wem geh?rt er? Dem Dichter, oder den Künstlern? Montfaucon will ihn bei dem Dichter nicht finden 1). Aber ich meine, Montfaucon hat den Dichter nicht aufmerksam genug gelesen.

{1. Suppl. aux Antiq. Expl. T. I. p. 243. Il y a quelque petite différence entre ce que dit Virgile, et ce que le marbre représente. Il semble, selon ce que dit le poète, que les serpents quittèrent les deux enfants pour venir entortiller le père, au lieu que dans ce marbre ils lient en même temps les enfants et leur père.}

-illi agmine certo

Laocoonta petunt, et primum parva duorum

Corpora natorum serpens amplexus uterque

Implicat et miseros morsu depascitur artus.

Post ipsum, auxilio subeuntem et tela ferentem

Corripiunt, spirisque ligant ingentibus-

Der Dichter hat die Schlangen von einer wunderbaren L?nge geschildert. Sie haben die Knaben umstrickt, und da der Vater ihnen zu Hilfe k?mmt, ergreifen sie auch ihn (corripiunt). Nach ihrer Gr??e konnten sie sich nicht auf einmal von den Knaben loswinden; es mu?te also einen Augenblick geben, da sie den Vater mit ihren K?pfen und Vorderteilen schon angefallen hatten, und mit ihren Hinterteilen die Knaben noch verschlungen hielten. Dieser Augenblick ist in der Fortschreitung des poetischen Gem?ldes notwendig; der Dichter l??t ihn sattsam empfinden; nur ihn auszumalen, dazu war itzt die Zeit nicht. Da? ihn die alten Ausleger auch wirklich empfunden haben, scheinet eine Stelle des Donatus 2) zu bezeigen. Wieviel weniger wird er den Künstlern entwischt sein, in deren verst?ndiges Auge alles, was ihnen vorteilhaft werden kann, so schnell und deutlich einleuchtet?

{2. Donatus ad v. 227. lib. II. Aeneid. Mirandum non est, clipeo et simulacri vestigiis tegi potuisse, quos supra et longos et validos dixit, et multiplici ambitu circumdedisse Laocoontis corpus ac liberorum, et fuisse superfluam partem. Mich dünkt übrigens, da? in dieser Stelle aus den Worten mirandum non est entweder das non wegfallen mu? oder am Ende der ganze Nachsatz mangelt. Denn da die Schlangen so au?erordentlich gro? waren, so ist es allerdings zu verwundern, da? sie sich unter dem Schilde der G?ttin verbergen k?nnen, wenn dieses Schild nicht selbst sehr gro? war und zu einer kolossalischen Figur geh?rte. Und die Versicherung hievon mu?te der mangelnde Nachsatz sein; oder das non hat keinen Sinn.}

In den Windungen selbst, mit welchen der Dichter die Schlangen um den Laokoon führet, vermeidet er sehr sorgf?ltig die Arme, um den H?nden alle ihre Wirksamkeit zu lassen.

Ille simul manibus tendit divellere nodos.

Hierin mu?ten ihm die Künstler notwendig folgen. Nichts gibt mehr Ausdruck und Leben, als die Bewegung der H?nde; im Affekte besonders, ist das sprechendste Gesicht ohne sie unbedeutend. Arme, durch die Ringe der Schlangen fest an den K?rper geschlossen, würden Frost und Tod über die ganze Gruppe verbreitet haben. Also sehen wir sie, an der Hauptfigur sowohl als an den Nebenfiguren, in v?lliger T?tigkeit, und da am meisten besch?ftiget, wo gegenw?rtig der heftigste Schmerz ist.

Weiter aber auch nichts, als diese Freiheit der Arme, fanden die Künstler zutr?glich, in Ansehung der Verstrickung der Schlangen, von dem Dichter zu entlehnen. Virgil l??t die Schlangen doppelt um den Leib, und doppelt um den Hals des Laokoon sich winden, und hoch mit ihren K?pfen über ihn herausragen.

Bis medium amplexi, bis collo squamea circum Terga dati, superant capite er cervicibus altis.

Dieses Bild füllet unsere Einbildungskraft vortrefflich; die edelsten Teile sind bis zum Ersticken gepre?t, und das Gift gehet gerade nach dem Gesichte. Demohngeachtet war es kein Bild für Künstler, welche die Wirkungen des Giftes und des Schmerzes in dem K?rper zeigen wollten. Denn um diese bemerken zu k?nnen, mu?ten die Hauptteile so frei sein als m?glich, und durchaus mu?te kein ?u?rer Druck auf sie wirken, welcher das Spiel der leidenden Nerven und arbeitenden Muskeln ver?ndern und schw?chen k?nnte. Die doppelten Windungen der Schlangen würden den ganzen Leib verdeckt haben, und jene schmerzliche Einziehung des Unterleibes, welche so sehr ausdrückend ist, würde unsichtbar geblieben sein. Was man über, oder unter, oder zwischen den Windungen, von dem Leibe noch erblickt h?tte, würde unter Pressungen und Aufschwellungen erschienen sein, die nicht von dem innern Schmerze, sondern von der ?u?ern Last gewirket worden. Der ebenso oft umschlungene Hals würde die pyramidalische Zuspitzung der Gruppe, welche dem Auge so angenehm ist, g?nzlich verdorben haben; und die aus dieser Wulst ins Freie hinausragende spitze Schlangenk?pfe h?tten einen so pl?tzlichen Abfall von Mensur gehabt, da? die Form des Ganzen ?u?erst anst??ig geworden w?re. Es gibt Zeichner, welche unverst?ndig genug gewesen sind, sich demohngeachtet an den Dichter zu binden. Was denn aber auch daraus geworden, l??t sich unter andern aus einem Blatte des Franz Cleyn 3) mit Abscheu erkennen. Die alten Bildhauer übersahen es mit einem Blicke, da? ihre Kunst hier eine g?nzliche Ab?nderung erfordere. Sie verlegten alle Windungen von dem Leibe und Halse, um die Schenkel und Fü?e. Hier konnten diese Windungen, dem Ausdrucke unbeschadet, so viel decken und pressen, als n?tig war. Hier erregten sie zugleich die Idee der gehemmten Flucht und einer Art von Unbeweglichkeit, die der künstlichen Fortdauer des n?mlichen Zustandes sehr vorteilhaft ist.

{3. In der pr?chtigen Ausgabe von Drydens englischem Virgil. (London 1697 in gro? Folio.) Und doch hat auch dieser die Windungen der Schlangen um den Leib nur einfach, und um den Hals fast gar nicht geführt. Wenn ein so mittelm??iger Künstler anders eine Entschuldigung verdient, so k?nnte ihm nur die zustatten kommen, da? Kupfer zu einem Buche als blo?e Erl?uterungen, nicht aber als für sich bestehende Kunstwerke zu betrachten sind.}

Ich wei? nicht, wie es gekommen, da? die Kunstrichter diese Verschiedenheit, welche sich in den Windungen der Schlangen zwischen dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters so deutlich zeiget, g?nzlich mit Stillschweigen übergangen haben. Sie erhebet die Weisheit der Künstler ebensosehr als die andre, auf die sie alle fallen, die sie aber nicht sowohl anzupreisen wagen, als vielmehr nur zu entschuldigen suchen. Ich meine die Verschiedenheit in der Bekleidung. Virgils Laokoon ist in seinem priesterlichen Ornate, und in der Gruppe erscheinet er, mit beiden seinen S?hnen, v?llig nackend. Man sagt, es gebe Leute, welche eine gro?e Ungereimtheit darin f?nden, da? ein K?nigssohn, ein Priester, bei einem Opfer, nackend vorgestellet werde. Und diesen Leuten antworten Kenner der Kunst in allem Ernste, da? es allerdings ein Fehler wider das übliche sei, da? aber die Künstler dazu gezwungen worden, weil sie ihren Figuren keine anst?ndige Kleidung geben k?nnen. Die Bildhauerei, sagen sie, k?nne keine Stoffe nachahmen; dicke Falten machten ein üble Wirkung; aus zwei Unbequemlichkeiten habe man also die geringste w?hlen, und lieber gegen die Wahrheit selbst versto?en, als in den Gew?ndern tadelhaft werden müssen 4). Wenn die alten Artisten bei dem Einwurfe lachen würden, so wei? ich nicht, was sie zu der Beantwortung sagen dürften. Man kann die Kunst nicht tiefer herabsetzen, als es dadurch geschiehet. Denn gesetzt, die Skulptur k?nnte die verschiednen Stoffe ebensogut nachahmen, als die Malerei: würde sodann Laokoon notwendig bekleidet sein müssen? Würden wir unter dieser Bekleidung nichts verlieren? Hat ein Gewand, das Werk sklavischer H?nde, ebensoviel Sch?nheit als das Werk der ewigen Weisheit, ein organisierter K?rper? Erfordert es einerlei F?higkeiten, ist es einerlei Verdienst, bringt es einerlei Ehre, jenes oder diesen nachzuahmen? Wollen unsere Augen nur get?uscht sein, und ist es ihnen gleich viel, womit sie get?uscht werden?

{4. So urteilet selbst De Piles in seinen Anmerkungen über den Du Fresnoy v. 210. Remarquez, s'il vous pla?t, que les draperies tendres et légères n'étant données qu'au sexe féminin, les anciens sculpteurs ont évité autant qu'ils ont pu, d'habiller les figures d'hommes; parce qu'ils ont pensé, comme nous l'avons déjà dit, qu'en sculpture on ne pouvait imiter les étoffes et que les gros plis faisaient un mauvais effet. Il y a presque autant d'exemples de cette vérité, qu'il y a parmi les antiques de figures d'hommes nus. Je rapporterai seulement celui du Laocoon, lequel selon la vraisemblance devrait être vêtu. En effet, quelle apparence y-a-t-il qu'un fils de roi, qu'un prêtre d'Apollon se trouvat tout nu dans la cérémonie actuelle d'un sacrifice; car les serpents passèrent de l'?le de Ténédos au rivage de Troie, et surprirent Laocoon et ses fils dans le temps même qu'il sacrifiait à Neptune sur le bord de la mer, comme le marque Virgile dans le second livre de son Enéide. Cependant les artistes, qui sont les auteurs de ce bel ouvrage, ont bien vu, qu'ils ne pouvaient pas leur donner de vêtements convenables à leur qualité, sans faire comme un amas de pierres, dont la masse ressemblerait à un rocher, au lieu des trois admirables figures, qui ont été et qui sont toujours l'admiration des siècles. C'est pour cela que de deux inconvénients, ils ont jugé celui des draperies beaucoup plus facheux, que celui d'aller contre la vérité même.}

Bei dem Dichter ist ein Gewand kein Gewand; es verdeckt nichts; unsere Einbildungskraft sieht überall hindurch. Laokoon habe es bei dem Virgil, oder habe es nicht, sein Leiden ist ihr an jedem Teile seines K?rpers einmal so sichtbar, wie das andere. Die Stirne ist mit der priesterlichen Binde für sie umbunden, aber nicht umhüllet. Ja sie hindert nicht allein nicht, diese Binde; sie verst?rkt auch noch den Begriff, den wir uns von dem Unglücke des Leidenden machen.

Perfusus sanie vittas atroque veneno.

Nichts hilft ihm seine priesterliche Würde; selbst das Zeichen derselben, das ihm überall Ansehen und Verehrung verschafft, wird von dem giftigen Geifer durchnetzt und entheiliget.

Aber diesen Nebenbegriff mu?te der Artist aufgeben, wenn das Hauptwerk nicht leiden sollte. H?tte er dem Laokoon auch nur diese Binde gelassen, so würde er den Ausdruck um ein Gro?es geschw?cht haben. Die Stirne w?re zum Teil verdeckt worden, und die Stirne ist der Sitz des Ausdruckes. Wie er also dort, bei dem Schreien, den Ausdruck der Sch?nheit aufopferte, so opferte er hier das übliche dem Ausdrucke auf. überhaupt war das übliche bei den Alten eine sehr geringsch?tzige Sache. Sie fühlten, da? die h?chste Bestimmung ihrer Kunst sie auf die v?llige Entbehrung desselben führte. Sch?nheit ist diese h?chste Bestimmung; Not erfand die Kleider, und was hat die Kunst mit der Not zu tun? Ich gebe es zu, da? es auch eine Sch?nheit der Bekleidung gibt; aber was ist sie, gegen die Sch?nheit der menschlichen Form? Und wird der, der das Gr??ere erreichen kann, sich mit dem Kleinern begnügen? Ich fürchte sehr, der vollkommenste Meister in Gew?ndern zeigt durch diese Geschicklichkeit selbst, woran es ihm fehlt.

            
            

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