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Therese und Mimi waren sp?t nach Hause gekommen, hatten die Vorwürfe der
Tante unter Lachen und Schmeicheleien durch ein mitgebrachtes
Veilchenstr?u?chen und eine Tafel Chocolade erstickt, beides von Hermann
gespendet, und waren schnell ins Bett gehuscht.
Beim Frühkaffee des zweiten Festtages nun kramten sie ihre Geschichten aus. Sie hatten sich "himmlisch" amüsiert, wie Mimi versicherte. Hermann sei "zu nett" gewesen. Sie wu?te, wie gerne die Wittfoth ihren Neffen loben h?rte.
Nach einer Tasse Kaffee und einem Stück Torte bei Homann, hatte man zu Fu? den Weg nach Ludwigs Konzerthaus zurücklegen müssen, da alle Pferdebahnen infolge des schlechten Wetters überfüllt waren. Auch dort hatte man nur mit Mühe Platz an einem Tisch in der Mitte des Saales erwischen k?nnen. Die unfreundliche Witterung trieb die Vergnügler schnell von der Stra?e in die Lokale, und auch der gro?e Saal des Ludwigschen Etablissements war bald überfüllt.
Froh des erlangten Sitzes, gab man sich um so empf?nglicher der Musik des vortrefflichen Orchesters hin. Das Programm bot mit Rücksicht auf das Sonntagspublikum meist heitere Weisen, worunter natürlich ein Strau?ischer Walzer nicht fehlte, Mimis Universalmittel gegen jegliche Art von Trübsinn und Verstimmung.
Wie immer zog das hübsche M?dchen die Blicke der n?her sitzenden Herren auf sich. Auch Herrn Pohlenz begrü?te man von weitem. Hermann, um nicht aus dem Felde geschlagen zu werden, hatte seine Liebenswürdigkeit verdoppelt und zuletzt, noch vor dem Schlu? des Konzertes, die M?dchen zu einem kleinen Souper in einem benachbarten Restaurant eingeladen, wo man vorzüglich a? und vor allen Dingen ungest?rt genie?en konnte. Vielleicht bestimmte dieser letzte Umstand ihn besonders. Es war jedenfalls die einfachste und nobelste Art, sich seiner Konkurrenten zu entledigen.
Die Wittfoth hatte den fr?hlichen Berichten der M?dchen nichts entgegenzusetzen. Ihr Erlebnis mit dem jungen Beuthien brannte ihr auf der Zunge. Es prickelte sie, aber sie wu?te nicht den rechten Ton zu finden und begnügte sich, eine gro?e Zufriedenheit zu erheucheln, da? sie doch einmal einen ruhigen, ungest?rten Nachmittag ganz für sich allein gehabt h?tte. Zuletzt aber mu?te sie doch wenigstens so viel verraten, da? der junge Beuthien sich einen neuen Kragen gekauft hatte.
"Der sch?ne Wilhelm?" fragte Mimi mit lachendem Spott.
"Ist er eigentlich so sch?n?" meinte Therese, w?hrend die Tante, ohne auf dies Thema einzugehen, eifrig die Tassen abr?umte, mit mehr Geklapper, als sonst ihre Art war.
Mimi erkl?rte Beuthien für einen ganz ansehnlichen Mann. Für K?chinnen, setzte sie hinzu, und lie? durchblicken, da? ihre Ansprüche h?her gingen. Therese fand etwas Rohes in seinen Zügen und lobte dagegen das ehrliche, gutmütige Gesicht seines Vaters.
Mimi war der zweite Festtag frei gegeben worden, ihre Verwandten in
Bergedorf zu besuchen. Sie machte sich früh auf den Weg, und Nichte und
Tante blieben allein.
Hermann kam am Nachmittag auf eine Viertelstunde, um zu fragen, wie den Damen der gestrige Abend bekommen sei. Er war heute, da das Wetter freundlich geworden war, so nobel gekleidet, wie Mimi sich ihn gestern gewünscht hatte. Man sah und h?rte ihm an, wie glücklich ihn die Erinnerung an den vergangenen Tag machte. Er brachte drei kleine Bouquets, je eine Rose von Veilchen umgeben, überreichte, anscheinend wahllos, der Tante die Theerose, Therese eine wei?e und bestimmte die übrig bleibende tiefrote für "Fr?ulein Kruse".
Auch ein Buch, von dem er dem M?dchen gesprochen hatte, lieferte er ab:
Rückerts Liebesfrühling.
"Liebesfrühling und Veilchenbouquets. Da kann man sich ja ordentlich was auf einbilden", meinte die Wittfoth.
Sie stand dem Verh?ltnis zwischen ihrem Neffen und ihrem Ladenm?dchen nicht blind gegenüber. Es amüsierte sie. Eine unschuldige Kurmacherei, die zu nichts Ernstlichem führen würde. Keinem würde das Herz dabei brechen, am allerwenigsten dem M?dchen. Uebrigens wollte sie gelegentlich mit Hermann darüber reden.
Therese hatte das Buch in Empfang genommen und bl?tterte mechanisch darin.
"Mimi wird sich freuen", sagte sie und legte es vor sich auf die
N?hmaschine.
"Und Du?" fragte Hermann.
"Du wei?t, ich schw?rme für Gedichte".
"Und nun gar Liebesgedichte", scherzte er. "Einen ganzen Band voll
Liebe."
Sie wurde auf einmal sehr rot und machte sich an den paar kümmerlichen Geranienpflanzen zu thun, die in irdenen T?pfen auf dem Fensterbrett standen.
"Werft doch die elenden St?cke fort", schalt er. "Es kommt doch nichts darnach."
"Sie wollen nicht gedeihen, zu wenig Sonne", antwortete sie.
Sie hatte wieder ihre gew?hnliche, gelbblasse, kr?nkliche Farbe.
Zu wenig Sonne. Er fing dies Wort auf. Sie war ihm nie so schw?chlich vorgekommen, wie in diesem Augenblick.
"Ihr geht doch spazieren nachher?" fragte er. "Das Wetter ist so milde.
Sitzt nur nicht wieder den ganzen Tag hier im Keller."
"Du kennst ja die Tante", entschuldigte sie.
"Luft und Licht sind Euch beiden n?tig ", eiferte er. "Also steckt die
Nase man mal hinaus."
Er reichte ihr die Hand zum Abschied.
"Willst Du schon gehen?" fragte sie bedauernd, mit aufrichtiger
Betrübnis.
"Meine Freunde warten", erkl?rte er.
"Kommst Du bald wieder?" bat sie.
Er versprach es.
"Adieu, liebe Tante", rief er über den Korridor in die Küche hinein, wo die Wittfoth mit Messern und Gabeln klapperte.
Therese gab ihm das Geleit bis an die Thür. Lange sah sie ihm nach.
Auf ihren Platz am Fenster zurückgekehrt, las sie im Liebesfrühling, brockenweise, hier ein Gedicht, dort eine Strophe, ohne ganz bei der Sache zu sein.
Sie wu?te ja, das Buch war eigentlich für Mimi bestimmt.
Mimi und Gedichte!
Was waren der alle sch?nen Gefühle und erhabenen Gedanken. Was war ihr überhaupt Hermann. Nichts mehr, als jeder andere heiratsf?hige Kurmacher.
Mimi war ein gutes M?dchen, aber leicht und oberfl?chlich. Und anspruchsvoll war sie.
Wie hatte sie sich gestern alle Aufmerksamkeiten als selbstverst?ndlich gefallen lassen. Und Hermann war doch kein Kr?sus.
Therese hatte tausend Gründe gegen eine Verbindung zwischen ihrem Vetter und Mimi, denn sie liebte ihn selbst.
Sein gutes, freundliches, sich immer gleich bleibendes Wesen sprach sie an. Er galt ihr für gescheut. Sein bischen Lehrerweisheit imponierte dem unwissenden, früh der Schule entrissenen, aber lerneifrigen M?dchen.
"Weinst Du?" fragte die Tante, in ihrer fahrigen, kreiselnden Weise ins
Zimmer tretend.
"Ich? Nein. Wie so?" stotterte Therese und versuchte zu lachen.
Bei Behns drüben fuhr in diesem Augenblick eine Droschke vor. Die
Familie kehrte von einer Ausfahrt zurück.
Die Wittfoth stürzte ans Fenster.
"Die k?nnen's. Immer nobel."
Fr?ulein Lulu verlie? als letzte etwas langsam den Wagen.
"Greif Dich man nich an," spottete die Wittfoth. "Wie sie schlappt."
Therese, solche Bemerkungen der Tante gewohnt und wenig erbaut davon, schwieg.
"Hast Du gesehn?" fuhr diese fort. "Beim Aussteigen? Die hat ja wohl seit acht Tagen keine frischen Strümpfe angezogen."
"So?" zweifelte Therese.
"Pechschwarz, und 'n Loch war auch drin," eiferte die Tante.
"Das kannst Du von hier sehen?" wunderte sich das M?dchen.
"Na, jedenfalls würd' ich mich sch?men, mit solchen Strümpfen auszufahren," lenkte die Wittfoth ein. "Und noch dazu auf'n Ostern."