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Frau Caroline Wittfoth war die Witwe eines kleinen Hafenbeamten, der ihr au?er einer geringfügigen Pension soviel hinterlassen hatte, da? sie die Wei?- und holl?ndische Warenhandlung von der erkrankten Besitzerin kaufen konnte. Vier Jahre hatte sie seitdem das gut eingeführte Gesch?ft mit Glück fortgesetzt und erweitert. Klug und unternehmend, hatte sie sich bald in die neuen Verh?ltnisse hineingearbeitet. Sie wu?te, was sie wollte. Die Gesch?ftsreisenden merkten, da? sie der kleinen hell?ugigen Frau nichts aufschw?tzen konnten und respektierten ihre Gesch?ftstüchtigkeit.
Mehr Mühe und Verdrie?lichkeiten hatten ihr im Anfang die jungen M?dchen gemacht, deren sie zwei ben?tigte, eine Verk?uferin und eine Schneiderin für die Anfertigung der Dienstm?dchenkostüme.
Sie hatte viel wechseln müssen. Die meistens ungebildeten, anspruchsvollen M?dchen suchten der kleinen, in manchen Dingen selbst noch unerfahrenen Frau durch freches Wesen zu imponieren. Aber Frau Caroline Wittfoth lie? sich nicht in ihrem eigenen Hause "kujonieren". Sie hatte immer kurzen Proze? gemacht und, wenn n?tig, alle acht Tage gewechselt, bis sie schlie?lich die brauchbaren Pers?nlichkeiten gefunden und sich in diesem t?glichen Kampfe gegen Widersetzlichkeit, Unordnung und Tr?gheit soweit geschult und gest?hlt hatte, da? sie sich fortan in Respekt zu setzen wu?te.
Seit einem halben Jahr hatte sie ihre Nichte Therese Sa?, die Tochter einer verarmt verstorbenen Schwester, zu sich genommen, ein zweiundzwanzigj?hriges, schw?chliches, etwas verwachsenes M?dchen, das erkenntlichen Charakters die Fürsorge der Tante durch hingebende Pflichttreue vergalt. Therese war sehr geschickt im Schneidern und erlebte die Genugthuung, da? neuerdings auch einzelne Damen der Nachbarschaft ihre einfachere Garderobe, Haus- und Morgenr?cke, von ihr anfertigen lie?en.
Die Wittfoth selbst verstand nichts von diesem Zweig ihres Gesch?ftes, und besorgte lediglich den Laden und die Wirtschaft, wobei sie von einem zweiten jungen M?dchen unterstützt wurde.
Die achtzehnj?hrige blühende Blondine mit den gro?en grauen, blitzenden Augen wu?te ihre Prinzipalin gut zu nehmen. Anstellig und gewandt, war sie mit Erfolg bestrebt, sich der Wittfoth unentbehrlich zu machen und sie durch kluges, einschmeichelndes Eingehen auf ihre Schw?chen und Eigenheiten zu gewinnen. Auch die Kunden fesselte das hübsche M?dchen durch sein gef?lliges, entgegenkommendes Wesen.
Mit der stillen, freundlichen Nichte ihrer Herrin hatte Mimi Kruse eine w?rmere Freundschaft geschlossen. Von Natur gutmütig, fühlte sie Mitleid mit der kr?nklichen, in einer freudlosen Jugend Verkümmerten, und diese empfand das frische, immer gleich heitere Wesen Mimis als belebenden Sonnenstrahl in dem Einerlei ihres zum Verzicht auf jede lautere Lebensfreude verurteilten Daseins.
So lebten die drei Frauenspersonen wie in Familienzusammengeh?rigkeit.
Oft kam ein Neffe der Witwe zum Besuch, Hermann Heinecke, ein
Volksschullehrer. Der junge Mann war der Sohn ihres Stiefbruders, der im
Mecklenburgischen eine kleine Landstelle besa?.
Hermann verkehrte gerne bei der Tante, der jungen M?dchen wegen. Der verwandtschaftlichen Freundschaft für Therese gesellte sich eine aufrichtige Wertsch?tzung ihres sanften, geduldigen Wesens und ihres feineren, tieferen Seelenlebens. Doch die Ergebenheit, die er seiner Cousine entgegenbrachte, hinderte ihn nicht, der hübschen Verk?uferin seiner Tante gleichzeitig ein warmes Interesse zu schenken.
Mimi hatte keinen glühenderen Verehrer, als Hermann Heinecke. Sie wu?te das und verwandte alle kleinen Künste der Koketterie, um ihn an sich zu fesseln.
Das gutmütige, etwas fade, von einem dünnen blonden Bart umrahmte Gesicht des jungen Mannes war eigentlich nicht "ihre Nummer", wie sie zu sagen pflegte. Ihre Schw?rmerei waren die Schwarzen, Kraushaarigen.
Die goldene Brille, die Hermann trug, s?hnte sie jedoch wieder etwas mit seinem Gesicht aus. Sie hatte, wie die meisten jungen M?dchen, eine Vorliebe für Augengl?ser, unter diesen wieder das Pincenez bevorzugend. Die Brille verlieh dem ziemlich ausdruckslosen Gesicht des Lehrers ein bedeutenderes Ansehen. Die freundlichen blauen Augen sahen ohne diesen Schutz etwas bl?de in die Welt, gewannen dahinter versteckt jedoch an Glanz und Leben.
Auch der Umstand, da? die Einfassung der Brille von Gold war, fiel bei Mimi Kruse durchaus ins Gewicht. Schenkte sie ihre Beachtung einmal einem Herrn, der eigentlich gegen ihren Geschmack war, so mu?te sie hierzu triftige Gründe haben, zum Beispiel die Aussicht auf nahe und ausk?mmliche Versorgung. Und die bot ein junger Lehrer immerhin. Der Neffe ihrer Prinzipalin war seit Michaelis fest angestellt, hatte ein gesichertes Einkommen und war pensionsberechtigt. Dafür durfte er schon blond sein und einen schlichten Scheitel tragen.
Hermann hatte den beiden M?dchen versprochen, sie am ersten Ostertage spazieren zu führen, und kam nun am Freitag vor dem Feste, noch abends um 9 Uhr, um seine Einladung zu wiederholen und das N?here zu bereden. Man wollte bei günstigem Wetter einen Nachmittagsspaziergang machen und am Abend ein Theater oder Konzerthaus besuchen. Bei schlechter Witterung sollte auf dem Dammthorbahnhof oder in der Alsterlust der Kaffee getrunken werden.
Die M?dchen waren mit Freuden bereit. Namentlich Therese, der so selten ein Vergnügen wurde, freute sich wie ein Kind.
Mimi brachte sofort die Frage auf. Was ziehe ich an?
Hermann sah sie am liebsten in heller Kleidung, und sie ging sogleich
auf seinen Wunsch ein, ihr hellblaues Wollkleid anzulegen. Von Theresens
Anzug war nicht die Rede. Ihre Garderobe war nicht sehr reichhaltig.
Auch trug sie nur schwarz.
Anstandshalber hatte man auch die Tante eingeladen, in der Voraussetzung, da? sie ablehnen würde. Man wu?te, da? sie um keinen Preis an irgend einem Tage ihr Gesch?ft schlo? und etwas darin suchte, zu Hause zu bleiben, wenn andere ausgingen. Sie hatte überhaupt einen Hang, die M?rtyrerin zu spielen, die von allen Kindern Gottes das geplagteste war.
Trotzdem atmete Hermann auf, als sie ganz entrüstet die Zumutung zurückwies, am Nachmittag des ersten Ostertages ihren Laden zu schlie?en. Sie hatte tausend Gründe dagegen. Gerade an diesem Tage h?tte sie noch in jedem Jahre die gl?nzendsten Gesch?fte gemacht. Für sie g?be es keine Feiertage. Wie das wohl werden sollte, wenn sie spazieren laufen wollte. Und damit burrte sie zum Zimmer hinaus, da die Ladenglocke schellte.
"Therese, komm mal nach hinten", rief sie gleich darauf wieder durch die hastig aufgerissene Thür. "Fr?ulein Behn will Ma? genommen haben."
Mit Meterma? und ihrem Notizbüchlein folgte Therese.
Mimi sa? am runden Sophatisch. Sie hatte die niedrige Lampe aus bl?ulichem Milchglas dicht vor sich gerückt und war besch?ftigt, die dünnen, schmiegsamen Stahlst?bchen in der Taille eines hellen M?dchenkleides zu befestigen. Der Schein des Lichtes fiel voll auf ihre etwas gro?en, aber weichen, sch?ngeformten H?nde, die gut gepflegt waren, wenn auch nicht jede Spur h?uslicher Th?tigkeit sich hatte entfernen lassen.
Mit etwas gezierter Haltung des kleinen Fingers führte sie die Nadel.
Die gleichm??ige Bewegung der vollen, rosigen M?dchenhand, an deren
Mittelfinger ein schm?chtiger Ring mit einem falschen grünen Stein matt
gl?nzte, fesselte Hermanns Blick.
"Wie m?gen Sie nur diesen falschen Stein tragen, Fr?ulein Mimi", sagte er.
"Schenken Sie mir einen echten, Herr Heinecke", entgegnete sie, ohne aufzusehen.
"Wenn Sie ganz artig sind", scherzte er.
"Bin ich das nicht immer?"
Sie sah ihn jetzt an, mit einem versteckten Spott in den grauen Augen, der ihm entging.
In der Vorfreude auf den lange ersehnten Ausgang mit ihr erschien sie ihm heute doppelt verführerisch. Mit ihr allein jetzt, und so schnell in diese verf?ngliche Unterhaltung geraten, fühlte er sich ganz in der Gewalt ihrer Reize.
Ohne auf ihre Frage zu antworten, stand er auf und stellte sich schweigend neben ihren Stuhl, der Weiterarbeitenden zusehend.
Ein schwacher Veilchenduft, ihr Lieblingsparfüm, das sie jedoch diskret gebrauchte, stieg zu ihm auf.
Er zog den Duft ein.
"Ah, Veilchen."
"Das letzte Tr?pfchen", lachte sie. "Wenn's verflogen ist, ist es aus mit der Veilchenherrlichkeit."
"Dann bleiben die Rosen."
"Wie so?"
Er berührte mit dem Rücken der rechten Hand sanft ihre linke Wange.
"Wie Feuer."
Sie schlug nach ihm.
Sie hatte ihn kr?ftig getroffen. Der Fingerhut entflog ihr bei dem
Schlag und rollte durchs Zimmer unter den altmodischen Sekret?r aus
Eichenholz, dessen Messingringe und Schlüssellochumkleidungen der
Verdru? der jungen M?dchen waren, denn nie konnte dieser Zierat der
Wittfoth gl?nzend genug leuchten.
Hermann, auf der Verfolgung des Ausrei?ers, lag b?uchlings auf dem Fu?boden und angelte und fegte pustend und ?chzend mit einem langen h?lzernen Stricksticken der Tante unter dem ziemlich tiefen M?bel umher, als das Zimmer von au?en ge?ffnet und die helle Stimme der Tante laut wurde:
"Unser Wohn- und Arbeitszimmer, Fr?ulein."
Gleichzeitig erschien Fr?ulein Behn in dem Rahmen der Thür, noch ehe die
Wittfoth die ungew?hnliche Lage ihres Neffen recht gewahrte.
In gr??ter Verwirrung schnellte Hermann empor, mit bestaubten Aermeln und Rocksch??en, an welchen sich auch die unvermeidlichen F?den der N?hstube festgesetzt hatten.
Schallendes Gel?chter begrü?te ihn, in das er notgedrungen einstimmte.
"Fr?ulein Behn, mein Neffe, Herr Heinicke", stellte seine Tante vor.
Die junge Dame ma? den Neffen mit etwas sp?ttischem Blick, der jenem entging, da er bei seinem demütigen Ritterdienst die Brille vorsichtig abgenommen hatte und noch immer zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand ?ngstlich von sich abhielt.
Therese beendete die komische Szene, indem sie sich mit der
Kleiderbürste an die Reinigung ihres Vetters machte.