Chapter 4 No.4

Die Wittfoth hatte sich eine Tasse starken Kaffee bereitet, ihr Lieblingsgetr?nk, der zwar für die vollblütige, nerv?se Frau das reine Gift war, dem sie jedoch mit wahrer Leidenschaft zusprach. Wenn Frau Caroline von "einer Tasse Kaffee" sprach, so war das nur der einfachere Ausdruck für ein gefülltes Kannenma?. Heute, zur Feier des Festtages, hatte sie sogar noch für eine Tasse über das gew?hnliche Ma? gesorgt, sich guten Rahm statt der sonst bei ihr üblichen Milch geg?nnt und neben der gefüllten Zuckerschale einen selbstgebackenen Kuchen gestellt.

Seit Jahren kam zu allen Festlichkeiten ein solcher Kuchen, ein gro?er, flacher Platenkuchen mit Zucker- und Mandelaufgu? auf den Tisch. Wer dieses Geb?ck nicht genug zu würdigen wu?te, hatte es mit der kleinen Frau verdorben. Ihr Platenkuchen war ihr Stolz.

Behaglich in den tiefen Lehnstuhl fast versinkend, lie? sich die Wittfoth ihren Festkaffee vortrefflich schmecken. Sie steckte ihre N?harbeit in die Ecke des Sofas und nahm sich vor, den Rest des Nachmittags mit gemütlichem Nichtsthun zu verbringen. Sie wollte auch ihren Feiertag haben. Sie mu?te sich wahrlich genug plagen. "Ich wundere mich nur, da? mir der Kaffee noch so gut schmeckt", sagte sie oft.

Im Grunde hatte sie wenig Ursache zum Klagen. Die M?dchen nahmen ihr alle Arbeit ab. Selbst die Küche brauchte sie nicht allein zu besorgen. Dennoch war sie überzeugt, da? niemand so mit Arbeit überbürdet sei wie sie.

Sie war immer in Bewegung und meistens in unn?tiger. Sie war überall und nirgends, bald in der Küche, bald im Laden oder im Arbeitszimmer, hier einen Topf oder eine Pfanne, dort einen Flicken oder einen Bindfaden aus dem Wege r?umend, um ihn an anderer Stelle abzulagern, wo er oft noch mehr im Wege war. Alle Augenblicke seufzte sie "meine Beine, meine Beine" und brummkreiselte doch wieder ruhelos auf ihren kurzen Beinen weiter. Kein Wunder, wenn sie am Abend "von all der Arbeit" müde war.

Auch jetzt hatte sie sich, trotzdem sie allein war, mit ihrem Gewohnheitsseufzer "Meine Beine, meine Beine" niedergelassen. Der duftige Trank regte ihre Lebensgeister an, der Kuchen war nach ihrem Geschmack vortrefflich geraten, und ein seltsames Wohlgefühl überkam sie.

Aus einer der über ihrem Keller gelegenen Etagenwohnungen drang ged?mpftes Klavierspiel zu ihr: Zwei Teile des Donauwalzers von Strau? und dann Ketterers beliebtes Salonstück "Silberfischchen".

"Schnutentante klimpert wieder", sagte die Wittfoth im Selbstgespr?ch. Schnutentante war eine vierzehnj?hrige "h?here Tochter", der sie wegen ihrer das Normalma? überschreitenden Nase diesen Namen beigelegt hatte.

Aber das Klimpern war der einsamen Kaffeetrinkerin nicht unangenehm. Die Musik stimmte sie sentimental. Das Gefühl des Alleinseins überkam sie, die wohlthuende Empfindung des Mitleids mit sich selbst.

Das Wetter drau?en war fortgesetzt unfreundlich. Der Wind warf einzelne

Regen- und Schneeschauer gegen die Fenster, die in gleicher H?he mit dem

Trottoir lagen.

Frau Wittfoth freute sich doch, zu Hause geblieben zu sein. Der Ofen strahlte so gemütliche W?rme aus. Gott sei Dank, da? sie nicht drau?en "rumzupatschen" brauchte.

Aber die Musik von oben führte ihre Gedanken den jungen Leuten nach, ins

Konzerthaus. Sie h?rte so gerne Musik. Als ihr Seliger noch lebte,

besuchten sie h?ufig die Gartenkonzerte bei Mutzenbecher, jetzt

Hornhardt, auf St. Pauli, oder im "Zoologischen".

Das war lange her.

Jetzt, mit den Jungen, machte es ihr nur halbes Vergnügen. Sie fühlte sich überflüssig in deren Gesellschaft.

Aber war sie denn nicht auch noch jung? Waren denn fünfunddrei?ig Jahre ein Alter?

Zu den achtzehnj?hrigen Backfischen allerdings pa?te sie nicht mehr. Aber um schon auf alle Lebensfreuden zu verzichten, sich zum alten Eisen zu rechnen, war es doch noch zu früh.

Freilich, eine alleinstehende Witwe in ihren Jahren mu? sich schon zufrieden geben. Man mu? froh sein, wenn man nur im Stillsitzen seinen guten Ruf wahrt. Dem Klatsch entgeht man nimmer.

Was war das doch für ein Gerede damals gewesen, mit dem hübschen Reisenden von Rosinsky und S?hne. Weil sie h?flich gegen Herrn Bellermann war, sollte sie natürlich Heiratsabsichten haben. Als ob es nicht ihre Pflicht gewesen w?re, im Beginn ihrer Gesch?ftsth?tigkeit sich mit Kunden und Lieferanten auf m?glichst guten Fu? zu stellen.

Und wie viele Nachfolger hatte Herr Bellermann gehabt. Bald war es der, bald jener, den sie k?dern, oder der nach ihr seinen Haken auswerfen sollte. Und immer waren die Leute boshaft genug, nicht von ihrer Person, sondern von ihrem Gesch?ft zu reden. Als ob sie nicht immer noch ansehnlich genug sei.

Jetzt war es Herr Pohlenz, der Stadtreisende von Müller und Lenze, der gro?en Knopffabrik, der Absichten auf sie haben sollte. Nun ja, diesmal hatten die Leute ja recht. Ein Blinder mu?te sehen, da? Herr Pohlenz auf die Firma Caroline Wittfoth spekulierte. Aber lieber ginge sie in die Alster, als da? sie diesen Pohlenz heiratete. Schon vor seinen feuchten, kalten H?nden schauderte ihr.

Dann lieber den alten Beuthien, der schon einmal Andeutungen gemacht

hatte. Zwar nahm sie es damals für Scherz und nahm es auch noch dafür.

Aber gesetzt, er h?tte die Absicht, lieber den Droschkenkutscher als den

Pomadenhengst mit den Leichenh?nden.

Aber was fiel ihr denn ein, wie kam sie doch nur jetzt auf diese

Heiratsgedanken? Sie mu?te über sich selbst lachen.

Sie füllte zum dritten Mal ihre Tasse und schob ein l?ngliches Stück

Kuchen in den Mund, als die Ladenglocke ging.

Sie h?rte am schweren Auftreten, da? m?nnliche Kundschaft sie beehrte.

Es war der junge Beuthien, der sonnt?glich gekleidet vor der Tonbank stand.

Er bat um einen neuen Halskragen.

"Welche Nummer, Herr Beuthien?"

Ja, wenn er das wü?te, lachte er. Seine Kragen w?ren ihm zu eng geworden. "Dat kniept all bannig".

Sie legte ihm verschiedene Weiten vor, und er pa?te sie unbeholfen an. Da er sich nicht entschlie?en konnte, half sie ihm und legte eigenh?ndig einen Kragen um seinen Hals.

"De pa?t", empfahl sie.

Als er gew?hlt hatte, mu?te sie ihm wieder behilflich sein, die kleinen widerspenstigen Hornkn?pfe durch die neuen steifen Knopfl?cher zu drücken. Seine gro?en plumpen Finger waren nicht geschickt dazu.

Sie hatte Mühe davon, und es dauerte lange. Sein rotblonder Bart kitzelte sie auf der Hand. Er hob das Kinn h?her, und sie bewunderte seinen braunen kr?ftigen Hals.

Beim Umlegen der Krawatte ging er etwas ungestüm zu Werke, so da? das

Halsband ri?.

"Dunner", schalt er. "Dat Schiet is m?r".

Verlegen besah er den Schaden. Aber es lie? sich nichts daran ?ndern, und er verstand sich dazu, einen neuen Slips zu fordern.

Sein verlegener Aerger rührte sie. Und da seine Krawatte noch so gut wie neu war, erbot sie sich, den Schaden mit einigen Nadelstichen zu reparieren.

Sie n?tigte ihn in die Stube. Z?gernd folgte er und nahm mit etwas umst?ndlichem Gebahren auf dem angebotenen Stuhl Platz, w?hrend sie ihr N?hzeug aus dem auf der Fensterbank stehenden Korb zusammensuchte.

Ein Blick auf die Stra?e zeigte ihr, da? im Parterre gegenüber Lulu

Behn wieder ihrer Gewohnheit nach am Fenster rekelte.

"Immer as'n Blomenpott vor't Finster", sagte sie und lie? die Rouleaux herunter, um jener einen Einblick zu versperren.

Beuthien schien ihre Bemerkung überh?rt zu haben.

Im Begriff, sich zu setzen, kam ihr der Einfall, ihm eine Tasse Kaffee anzubieten.

"Warum nich", nahm er dankbar an. Sie schenkte ihm ein und schob ihm den

Kuchenteller zu.

Es schien ihm zu behagen, und sie war schneller mit ihrer Arbeit fertig, als er mit seinem Kaffee.

Sie lud ihn ein sich Zeit zu lassen, fragte nach diesem und jenem und stillte ihre Neugier.

Als er gespr?chig Auskunft gab und auch auf die Absicht seines Vaters zu sprechen kam, sich bald zur Ruhe zu setzen, meinte sie: "Dann heiraten Se woll gliek?"

"Ja", antwortete er scherzend. "Wülln Se min Fru sin?"

"Da f?hrt wi immer fein tosamen in de Kutsch", ging sie darauf ein.

"Un mit s??", lachte er und schob die geleerte Tasse von sich.

Schwerf?llig erhob er sich, und sie bemerkte erst jetzt, da? er ein wenig schwankte. Er wischte sich mit dem Rücken der linken Hand langsam über die etwas niedrige braune Stirn und reckte die breiten Schultern.

Als sie ihm die ausgebesserte Krawatte zurückgab griff er nach ihrer

Hand und legte den Arm um ihre Taille.

"Dat laten S' unnerwegs", rief sie, sich losrei?end. "So wiet sünd wi ja woll noch nich".

Er versuchte noch einmal die hinter den hohen Lehnstuhl sich flüchtende zu erhaschen.

"Nichts für ungut, Madammchen", lachte er dann, ablassend. "Spa? mu? sind, sagt der Berliner".

"All wo's hin geh?rt", sagte sie pikiert.

"Na, denn nich", brummte er gekr?nkt und fragte, was er schuldig sei.

Aber sie wollte für die kleine Mühe nichts haben.

"Se f?hrt mi mal ut", scherzte sie, wieder vers?hnlich gestimmt.

"Na, dann besten Dank und fr?hlich Fest".

Er gab ihr die Hand, und sein kr?ftiger Druck zwang ihr ein leises Au ab.

Als er fort war, stand sie wie selbstvergessen mitten im Laden und rieb noch immer mechanisch die Stelle, wo sich die roten Spuren seiner kr?ftigen Finger l?ngst verzogen hatten.

            
            

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