Dr. Bernburger hatte der Sitzung in Gesellschaft eines ihm befreundeten jungen Nervenarztes, des Dr. von Wydenbruck, beigewohnt und verlie? mit ihm zusammen das Justizgeb?ude.
Die beiden Herren waren au?erordentlich verschieden, aber durch das gemeinsame Interesse für Psychologie, und was damit zusammenh?ngt, ziemlich vertraut geworden, besonders seit Bernburger, als er infolge von überarbeitung an nerv?sen Depressionen litt, sich von Dr. von Wydenbruck nach einer eignen Methode hatte behandeln lassen. W?hrend Bernburger klein war, von verkümmertem Wuchs, mit schw?chlichen Gliedma?en, dabei aber ein ausdrucksvolles Gesicht und unermüdlich kluge, aufmerksame Augen hatte, war Dr. von Wydenbruck von gro?er, schmaler und eleganter Figur und hatte so verfeinerte Züge, da? sie sich bei scharfer Beobachtung ganz zu verflüchtigen schienen. Sein Gang hatte etwas Elastisches und Biegsames, als sei er stets bereit, auszuweichen oder sich anzupassen, aber in Wirklichkeit streckte er nur h?chst bewegliche Fühler aus und blieb auf dem Grunde seines Wesens von schwerer, glatter Unver?nderlichkeit.
?Da sind wieder einmal ein paar Hysterische zusammengekommen,? sagte er, als sie die breite, zum Mittelpunkt der Stadt führende Stra?e hinuntergingen.
?Sie halten Deruga doch nicht für hysterisch?? sagte Dr. Bernburger eifrig, an seinem Begleiter hinaufsehend. ?Ich beurteile ihn ganz anders. Da? er den Mord begangen hat, steht mir fest, und zwar hat er ihn ohne Erregung, mit einer Ruhe ohnegleichen, ja mit einer Selbstverst?ndlichkeit begangen, die es ihm erm?glicht hat, keinen Schnitzer zu begehen, der ihn verraten k?nnte. Die Verbrecher, die mit sorgf?ltiger überlegung zu Werke gehen, machen bekanntlich immer irgendeinen Fehler, der ihnen zum Verh?ngnis wird. Deruga hat gemordet, wie ein anderer seine Suppe ausl?ffelt, beil?ufig, beinah mechanisch, und darum hat er keine Spur hinterlassen.?
?Sehr fein bemerkt,? lobte Dr. von Wydenbruck. ?Nur die unbewu?ten Handlungen sind lebendig und fruchtbar und in ihrer Art fehlerlos und unfehlbar. Ich m?chte hinzusetzen, auch tadellos.?
?An sich meinetwegen, in bezug auf die Zweckm??igkeit,? entgegnete Bernburger; ?aber das ist jetzt nicht unser Standpunkt. Sonst w?re ja jeder unmoralische Mensch in seinen unmoralischen Handlungen tadellos.?
?Ist er denn das nicht?? fragte Wydenbruck. ?Aber Deruga,? fuhr er fort, ?geh?rt nach meinem Dafürhalten nicht dahin. Ich halte ihn und nicht minder seine Frau für moralisch zurechnungsf?hig, aber für hysterisch. Mord ist in unserer Zeit ein nur den untersten Schichten des Volkes angemessenes Verbrechen; tritt er in gebildeten Kreisen auf, so deutet er auf Hysterie oder Perversit?t.?
?Das stimmt für uns,? sagte Bernburger, ?aber nicht für die Italiener. übrigens gibt es auch bei uns Umst?nde und Leidenschaften, die einen Gebildeten auf natürlicher Grundlage zum M?rder machen k?nnen, zum Beispiel Eifersucht.?
?Ich m?chte die Eifersucht selbst für das D?monische erkl?ren,? sagte der andere. ?Jedenfalls glaube ich, da? wir es hier mit einer hysterischen Mordlust zu tun haben, die nichts als verdr?ngter Liebestrieb ist. Obwohl Derugas Frau ihn nach Aussage dieser guten, komischen Brutta liebte, findet er keine Befriedigung. Um mehr herauszupressen, erregt er Furcht, ihre Angst verdoppelt seinen Genu?, aber seine Gier bleibt unges?ttigt und wird auch über ihrem Leichnam nicht erl?schen. Diese Unglücklichen sind die eigentlichen Vampire der Sage.?
?Da? es das gibt, bezweifle ich nicht,? sagte Dr. Bernburger, ?vielleicht hat sogar jeder Mensch etwas vom Vampir in sich; doch kann ich Ihre Methode, die ?u?eren Beweggründe gar nicht in Betracht zu ziehen, nicht billigen. Sie sind vorhanden und üben ihre Wirkung aus, so oder so.?
?Auf Gesunde, ja,? antwortete Wydenbruck, ?auf Kranke kaum oder nur, um willkürlich verwertet zu werden. Auf Hysterie deutet bei Deruga schon seine h?chst merkwürdige F?higkeit, sich auszuschalten, wann es ihm pa?t. Er ist überaus reizbar, leicht bis zu Tr?nen ergriffen, und im n?chsten Augenblick ist er wie von Stein. Er ist dann gewisserma?en nicht mehr da. Wenn er sich darauf legte, k?nnte er es vielleicht dahin bringen, sich tats?chlich zu spalten, und wir h?tten dann die Erscheinung der Doppelg?ngerei.?
?Und die Frau?? forschte Bernburger; ?warum halten Sie die Frau für hysterisch??
?Ihre Furchtsamkeit ist ein hinreichendes Smyptom,? sagte Dr. von Wydenbruck. ?Beachten Sie doch, wie Mordlust und Furchtsamkeit aufeinander eingestellt sind. Es ist h?chst merkwürdig, wie solche Naturen magnetisch zueinander hingezogen werden, um ihre Wesenseigentümlichkeiten durcheinander aufs h?chste zu steigern und ihr Los zu erfüllen. Alle Schranken durchbrechend offenbart sich der Selbstvernichtungstrieb als r?tselhafte Leidenschaft.?
* * *
Es war, als h?tten sich diese Gedanken dem Justizrat Fein mitgeteilt. Denn als er seinen Klienten nach beendigter Sitzung traf, sagte er zu ihm:
?H?ren Sie, Doktor, wenn wir Sie als geisteskrank hinzustellen versuchten, h?tten wir, glaube ich, Aussicht.?
?Machen Sie das, wie Sie wollen,? sagte Deruga, ?ich überlasse ja ohnehin alles Ihnen. Da ich ein sehr guter Mensch bin und die Dinge sehe und benenne, wie sie sind, ist es leicht m?glich, da? man mich für verrückt h?lt.?
Der Justizrat sprach seine Absicht aus, Deruga zum Mittagessen zu begleiten. Meister Reichardt werde schon etwas E?bares haben, soviel er wisse, führe der Alte sogar einen ganz guten Wein. Ohne einen Schluck Wein, eine gute Zigarre und eine Tasse guten Kaffee k?nne er allerdings um drei Uhr nicht weiterarbeiten.
?Das ist recht, da? Sie mitkommen,? sagte Deruga, ?so k?nnen wir noch ein bi?chen miteinander tratschen. Aber h?ren Sie,? unterbrach er sich pl?tzlich, ?kommen Sie wirklich aus Teilnahme für mich, oder wollen Sie mich aushorchen??
?Ja, mein Freund,? lachte der Justizrat, ?wozu bin ich denn eigentlich da? Ich vertrete ja Ihre Interessen, und wenn Sie vernünftig w?ren, erz?hlten Sie von vornherein alles mir, anstatt zur Unzeit und zu Ihrem Schaden damit herauszuplatzen. Mensch, Sie machen einem, wei? Gott, das Handwerk schwer.?
?Wenn ich eine alte Freundin nach zwanzig Jahren unverhofft wiedersehe,? entschuldigte sich Deruga, ?komme ich natürlich ins Schwatzen. Sie h?tten mich warnen sollen. übrigens ist es mir ja gleichgültig.?
In Derugas kleinem, altmodisch eingerichtetem Stübchen war der Tisch schon bereit, und es brauchte nur ein zweites Gedeck aufgelegt zu werden. Nachdem der Justizrat seinen ersten Hunger gestillt hatte, lehnte er sich behaglich zurück und sagte: ?Sie scheinen Ihre Frau aber doch mordsm??ig geliebt zu haben??
?Wieso?? fragte Deruga kühl. ?In den Flitterwochen ist das doch selbstverst?ndlich. Seitdem habe ich Gott wei? wie viele andere geliebt.?
?Nun ja,? meinte der Justizrat, ?aber man mu? doch jedenfalls eine Frau sehr lieben, um sich ihretwegen in eine solche Klemme zu bringen.?
?Erstens konnte ich das nicht voraussehen,? sagte Deruga, ?und zweitens t?te ich das für jeden Menschen, und es ist schlimm genug, da? das nicht alle tun. Wenn ein J?ger ein angeschossenes Tier nicht m?glichst schnell vollends t?tete, würde man ihn mit Recht einen rohen Kerl nennen. Menschen dagegen sieht man wochenlang, monatelang Qualen leiden, bevor sie sterben k?nnen, und hilft ihnen nicht. Sch?ne N?chstenliebe! Als ob man einem überhaupt ein kostbareres Geschenk machen k?nnte als den Tod! Ich w?re dem, der mir das Leben abkürzt, wenn ich nicht mehr dazu tauge, bedeutend dankbarer als denen, die es mir gegeben.?
?Das hat denn doch seine zwei Seiten, mein Lieber,? sagte der Justizrat. ?Da k?nnte schlie?lich jeder Neffe seinen reichen Erbonkel umbringen und behaupten, er habe es aus N?chstenliebe getan.?
Deruga scho? das Blut ins Gesicht. ?Was meinen Sie damit?? sagte er. ?Das ist eine gemeine Anspielung, die ich mir verbitte.?
?Erlauben Sie,? sagte der Justizrat bes?nftigend, ?das war ganz sachlich geredet, und wenn Sie empfindlich sind, kommen wir nicht weiter. Der Mensch ist einmal ein Kentaur, und au?er guten Antrieben gibt es auch schlechte. Und wenn einer eine Person t?tet, deren Tod ihm Vorteil bringt, so mu? man wenigstens mit der M?glichkeit rechnen, er habe es mindestens zum Teil des Vorteils wegen getan.?
?Sie wissen,? sagte Deruga, ?da? ich von dem Testament meiner Frau keine Ahnung hatte.?
?Das hei?t, Sie haben es mir gesagt!? berichtigte der Justizrat gelassen.
?Wenn Sie meinen Worten nicht glauben,? rief Deruga au?er sich, ?so spreche ich überhaupt nicht mehr mit Ihnen. Was f?llt Ihnen ein, meine Verteidigung zu übernehmen, wenn Sie mich für einen gemeinen Raubm?rder halten? Das ist unanst?ndig gehandelt, ebenso unanst?ndig, wie wenn ich meine Frau umgebracht h?tte, um sie zu beerben. Und unanst?ndig ist es, unter der Maske des Wohlwollens und der Zuneigung mit mir zu verkehren.? Er war graubleich im Gesicht geworden und hatte unwillkürlich mit der schlanken, braunen Hand den Griff seines Messers erfa?t.
?Ja, h?ren Sie mal,? sagte der Justizrat gutmütig, ?wollen Sie mir eigentlich zwischen K?se und Kaffee die Kehle durchschneiden? Sie sind ein rabiater Italiener, und ich sollte mir jedesmal einen Blechpanzer unterschnallen, bevor ich zu Ihnen gehe.?
?Bevor Sie mich beleidigen, allerdings,? gab Deruga zurück; ?nur würde Ihnen das wenig nützen.?
?Ist das eine Beleidigung,? fuhr der Justizrat fort, ?wenn ich sage, ich halte es für m?glich, da? Sie von dem Testament Ihrer Frau Bescheid wu?ten? Sage ich denn, da? dieser Umstand Sie zur Tat bewog? Ich sage nur, man mu? die M?glichkeit in Betracht ziehen, da? dieser Umstand mitwirkte.?
Deruga lie? das Messer auf den Tisch fallen und lehnte sich müde in seinen Stuhl zurück. ?Die M?glichkeit ist deshalb ausgeschlossen,? sagte er, ?weil die Voraussetzung fehlt. Sie wissen, da? das Testament mich nicht beeinflussen konnte, weil ich keine Ahnung davon hatte. Sie wissen das, weil ich es Ihnen sagte und Sie mir glauben müssen. Das sogenannte Publikum, das dumm ist und mich nicht kennt, braucht mir nicht zu glauben, aber von Ihnen verlange ich es.?
Der Justizrat schwieg eine Weile und sagte dann: ?Versuchen Sie, mein Bester, einmal einen Teil der Gerechtigkeit selbst zu üben, die Sie von anderen in so reichem Ma?e verlangen! Ich habe erst seit kurzem das Vergnügen, Sie zu kennen, und zwar lernte ich Sie unter sehr zweideutigen Umst?nden kennen. Viel Gutes h?rt man nicht von Ihnen. Sie führen ein Lotterleben, arbeiten nur, wenn Sie keinen Pfennig mehr in der Tasche haben, obwohl Sie einen eintr?glichen Beruf und viel Verstand haben. Sie haben sich absichtlich verkommen lassen, sind sozusagen ein mutwilliger Vagabund. W?re es nicht leichtfertig oder dumm von mir, wenn ich Ihnen durch dick und dünn glaubte, auch wo etwa Tatsachen oder berechtigte Mutma?ungen dagegen sprechen? W?ren Sie nicht der erste, mich allenfalls auszulachen und zu sagen: Der Fein ist ein echter Deutscher, dumm wie eine Kartoffel??
Deruga wandte dem Justizrat mit einem liebenswürdigen L?cheln das Gesicht wieder zu. ?Für einen Deutschen sind Sie wirklich ziemlich gescheit,? sagte er, ?und dabei ein ganz guter Kerl. Aber ich sehe nicht ein, warum Sie mich nicht die Wahrheit sagen lie?en. Dann w?re diese langweilige und ekelhafte Geschichte schon zu Ende.?
Der Justizrat sah gedankenvoll in den Rauch seiner Zigarre und schüttelte den Kopf. ?Ich habe Ihnen nach bester überzeugung geraten,? sagte er. ?Da? Sie die Tat aus reinen, edlen Motiven begangen haben, h?tten Sie nicht beweisen k?nnen; umgekehrt kann man Ihnen nicht beweisen, da? Sie sie überhaupt begangen haben, es mü?ten sonst noch ganz unvorhergesehene Indizien herauskommen. Ich denke also, wenn Sie konsequent leugnen, bringe ich Sie durch. Und das ist doch besser als ein paar Jahre Gef?ngnis, wenn Sie vielleicht auch einen ganz gemütlichen Diogenes darin vorgestellt h?tten. So wagen wir einen hohen Einsatz, k?nnen aber auch einen hohen Gewinn davontragen; im anderen Falle bek?men wir auch im besten Falle nur Stückwerk!?
?Und Sie sind kein Flickschneider, sondern ein Kleiderkünstler,? sagte Deruga. ?Ich geh?re aber eigentlich in die Bude des Flickschneiders.?
?Ein echter Italiener kann ebensogut den Lazzarone wie den Edelmann spielen,? sagte der Justizrat. ?Wenn Sie erst frei und im Besitze Ihres Verm?gens sind, werden Sie diesen kurzen Schmerz vergessen und wom?glich ein neues Leben anfangen.?
?Ein neues Leben anfangen?? lachte Deruga. ?Mit sechsundvierzig Jahren! Als ob ich nicht l?ngst genug und übergenug davon h?tte!?
?Na, da will ich Ihnen weiter nicht hineinreden,? sagte der Justizrat. ?Sie k?nnen ja auch weiter lumpen. Jedenfalls leuchtete Ihnen mein Rat damals ein, und Sie haben ihn aus freien Stücken angenommen.?
?Ich tue alles, was Sie wollen, damit die Baronin Truschkowitz, diese niedertr?chtige Person, das Verm?gen nicht bekommt,? sagte Deruga. ?W?re das nicht, ich lie?e mich ruhig k?pfen oder ins Zuchthaus sperren. Das Leben ist einen solchen Kampf nicht wert.?
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