Chapter 5 5

Das grüne Zimmer.

* * *

?Gott sei Dank, der Tag war überstanden!" murmelte der Commerzienrath leise vor sich hin, als er mit dem Sitzkissen in der einen und seinem Regenschirm und Rock in der andern Hand, von der Mamsell gefolgt, die den Reisesack und das Licht trug, die Treppe hinaufstieg, zu dem ?grünen Zimmer"; ?nun die Nacht gut geschlafen, und der Mensch kann seine Reise morgen mit frischen Kr?ften fortsetzen. - Ach, ist dies das grüne Zimmer?" unterbrach er sich, als seine Führerin eine Art kleiner Bodenkammer aufstie? und ihn bat n?herzutreten, ?hm, das ist sehr einfach."

?Ja, wir sind freilich ein wenig hier mit Raum beschr?nkt, Herr Mahlhuber", sagte die Mamsell, und der Commerzienrath drehte sich rasch und fast erschrocken nach ihr um. In dem Augenblick fiel ihm aber das Fremdenbuch ein und er nickte zustimmend mit dem Kopfe, als die Mamsell fortfuhr das Zimmer zu entschuldigen und nun das Bett dagegen zu loben, in dem Herr Mahlhuber schlafen würde wie in Abraham's Schoos.

Mit einem etwas dunkeln Begriffe, wie das eigentlich sein würde, legte er seine Sachen ab, ?ffnete das kleine Fenster, das aufs Dach hinaussah, und schlo? es gleich wieder, hob die schwere Federbettdecke auf und legte sie mit einem prüfenden, etwas mistrauischen Blicke zurück und sah dann das Licht an, das die Mamsell auf den Tisch gestellt hatte, sich dann nach der Thür zurückziehend, wo sie auf irgendeinen Befehl oder vielleicht auf ein Lob für das vortrefflich eingerichtete Lager zu warten schien. Dem Commerzienrath war es aber nur um Ruhe zu thun, und er fing an sich den Rock aufzukn?pfen, w?hrend er über die Schulter weg einen Blick nach der Wirthin warf, ob dieser das Zeichen noch nicht deutlich genug sei.

?Nun, Herr Mahlhuber, ist Alles in Ordnung?" sagte diese endlich, nicht im Stande den Platz ohne eine beif?llige Anerkennung zu verlassen, ?ist es zu Ihrer Zufriedenheit?"

?Vollkommen; schlafen Sie recht wohl!" sagte der Commerzienrath.

?Wünsche angenehme Ruhe!" sagte die Mamsell, ?und wenn Sie mit dem Lichte fertig sind, m?chte ich Sie freundlichst gebeten haben, es nur dort an die Thür zu stellen, ich hole es mir sp?ter. - So, lassen Sie sich etwas Angenehmes tr?umen", setzte sie mit ihrem verbindlichsten L?cheln hinzu und verschwand dann, von einem leise gebrummten Danke des Gastes begleitet, wie sie gekommen.

?Das grüne Zimmer", brummte dieser weiter, als er sich allein sah und kopfschüttelnd einen Blick in dem kleinen Raum umherwarf, dessen Grenzen an drei Seiten die wei?e Kalkwand und an der vierten, wo das Bett stand, ein schr?g niederlaufender Verschlag von ungehobelten Brettern bildete, ?grüne Zimmer? es ist kein grüner Faden im ganzen Nest. Und ausgekehrt haben sie hier seit voriger Woche nicht - unter dem Bette Stroh, und da in der Ecke ein Paar alte Stiefeln. - Hm, hm, Dorothee hat doch am Ende Recht, und Doctor Mittelweile w?re am besten selber auf Reisen gegangen. Lieber Gott, ich, ein ruhiger friedliebender Mensch, was habe ich heute nicht schon Alles erlebt und gethan und - ertragen - hm, hm. Nun es ist jetzt wenigstens Abend und eine ruhige Nacht gebe uns der liebe Gott."

Damit sich die Nachtmütze über die Ohren ziehend - denn er hatte sich w?hrend des Selbstgespr?ches vollst?ndig entkleidet -, hob er eben das rechte Bein, in das etwas hohe Bett zu steigen als er an das Licht, und den ihm gewordenen Auftrag dachte, es dicht an die Thür zu stellen. Eine Lichtschere lag überdies nicht auf dem Teller und der Commerzienrath ha?te nichts so sehr als den Qualm einer Lichtschnuppe. So das Bein wieder zurückziehend, nahm er das Licht und trug es, sorgsam vorher jedoch noch einmal in seine Pantoffeln schlüpfend, sich nicht zu erk?lten, zu dem bezeichneten Platze, setzte es dort nieder und stieg dann, tief und dankbar aufseufzend, in das sehr weiche, aber etwas volumin?se Bett, sich die Decke bis unter das Kinn ziehend, den Augenblick zu erwarten, wo die Mamsell das Licht abholen würde; vorher war er nicht im Stande einzuschlafen.

Eine Minute nach der andern verging aber und die Mamsell kam nicht; durch die Thürspalte zog es auch ein wenig und das Licht flackerte hin und her, da? der Talg in gro?en Streifen niederflo?. Es konnte doch kein Unglück damit geschehen?

?Hm, das ist ?rgerlich", murmelte er, sich im Bette aufrichtend, den Platz besser übersehen zu k?nnen, und dann, als er fand, da? das Licht vollkommen freistand, wieder zurücksinkend, doch am Ende einzuschlafen trotz der brennenden Talgkerze; aber es ging nicht, es war eine positive Unm?glichkeit und darauf zu warten, da? das Endchen Licht von selber niederbrennen sollte? - das h?tte wol noch eine volle halbe Stunde und l?nger dauern k?nnen. Eine Viertelstunde wenigstens hatte er jetzt schon in peinlicher, immer wachsender Ungeduld auf das Abholen desselben gewartet.

Der Zustand wurde ihm endlich unertr?glich und er beschlo? aufzustehen und das schon jetzt qualmende Licht auszul?schen, er konnte es ja umdrehen und ?rgerte sich, da? er das nicht schon lange gethan. In Gedanken vollbrachte er diese Operation jetzt auch fünf oder sechs mal hintereinander und drehte dabei selbst unwillkürlich die rechte Hand; aber das Licht blieb freilich stehen und flackerte weiter. Mit einem verzweifelten Entschlusse warf er endlich die Decke von sich, fuhr mit beiden Beinen aus dem Bette und in seine Pantoffeln und machte ein paar Schritte dem Lichte zu, als er pl?tzlich erschrocken stehen blieb und horchte, denn es war ihm genau so gewesen, als ob er drau?en etwas geh?rt h?tte auf dem Gange. - Wenn die Mamsell jetzt gerade hereingekommen w?re und ihn in dem Aufzuge gesehen h?tte! Er wollte im ersten Schrecke wirklich wieder ins Bett zurückziehen, aber - es war auch nicht das Mindeste weiter zu h?ren; er blieb noch ein paar Secunden lauschend stehen - keine Maus; - doch, unter seinem eigenen Bette raschelte etwas im Stroh und er blickte schnell dorthin, das konnte eine Maus gewesen sein; im Hemde durfte er jedoch nicht l?nger stehenbleiben, und jetzt rasch und entschlossen zu dem Lichte hinschreitend, bog er sich eben nieder und streckte die Hand aus es zu ergreifen, als die Thür ge?ffnet wurde und die Mamsell in derselben Absicht auf der Schwelle erschien.

?Jesus Maria!" rief sie, als ob sie einen Geist gesehen, als sie die keineswegs empfangsm??ige Gestalt vor sich erblickte, und der Commerzienrath fuhr mit einem ebenso verblüfften ?Bitte tausend mal um Entschuldigung!" in demselben Moment rückw?rts nach seiner Lagerst?tte zurück, als die erschreckte Mamsell die Thür wieder ins Schlo? warf und also spurlos verschwand.

Als der Commerzienrath den Kopf endlich wieder unter der schützend über sich gezogenen Decke vorstreckte, brannte das Licht, von beiden Theilen im Stiche gelassen, noch immer ruhig fort und an ein zweites Aufstehen war jetzt gar nicht zu denken, denn das schreckliche Frauenzimmer konnte in gleicher Absicht noch immer hinter der Thür stehen, wieder denselben unglücklichen Moment zu w?hlen sie zu ?ffnen. Es mu?te niederbrennen, und mit einer verzweifelten Art von Ueberwindung schlo? er endlich die Augen in der festen Absicht einzuschlafen, ob das grüne Zimmer erleuchtet sei oder nicht. Trotzdem war er es nicht im Stande und mochte etwa eine halbe Stunde so zwischen Wachen und Schlafen gelegen haben, als der leergebrannte Docht endlich umfiel, noch einmal hell aufflackerte und dann verl?schte.

?Gott sei Dank!" st?hnte der Commerzienrath in einem halben Bewu?tsein seiner Lage und drehte sich jetzt entschieden auf die rechte Seite, das Vers?umte seiner so leichtsinnig geopferten Nachtruhe nachzuholen, als er das Rascheln wieder unter dem Bette h?rte, aber diesmal weit st?rker als vorher und zugleich ein leises Winseln, als ob eine junge Katze oder etwas Derartiges darunterl?ge.

?Na, das hat mir noch gefehlt", brummte der gepeinigte Gast leise und ingrimmig vor sich hin, ?was ist jetzt wieder los?" - Er horchte eine Weile, aber das Ger?usch lie? nach und er fing eben erst an wieder in Schlaf zu kommen, als es von neuem und st?rker begann.

?Heiliger Gott im Himmel!" sagte der geplagte Commerzienrath, gewaltsam einen Fluch zurückhaltend, ?ist das nicht um selbst den gesundesten Christenmenschen zur Verzweiflung zu bringen, und dabei soll ich meine gelbe Hypertrophie verlieren?"

Das Rascheln und Winseln wurde jetzt st?rker und es blieb dem im Bette Liegenden bald kein Zweifel mehr, da? irgendein junger Hund sich gerade unter der Bettstelle in dem dort befindlichen Stroh sein Lager gemacht und nun durch Fl?he oder b?se Tr?ume gepeinigt werde. An Selberschlafen war aber unter solchen Umst?nden gar nicht zu denken, nach irgendeiner Bedienung zu rufen blieb ebenfalls ganz au?er der Frage, und der Commerzienrath entschlo? sich endlich, wie das Rascheln und Winseln immer st?rker wurde, noch einmal aufzustehen und den kleinen St?renfried zu fassen und aus der Thür zu werfen. Ein Ueberfall des Lichtes wegen war nicht mehr zu fürchten.

Vorsichtig nach den Pantoffeln fühlend, die er rasch wieder anzog, kauerte sich jetzt der würdige Mann, den Kopf etwas nach rückw?rts gezw?ngt, weil er ihn gegen die Bettstelle pressen mu?te, vor seinem Lager nieder, mit der Hand in dem Stroh nach dem Gegenstande seines Grimmes zu suchen. Es dauerte gar nicht lange, so griff er einen jungen Hund, der sich winselnd auf den Rücken legte, als er die Berührung fühlte, erwischte ihn beim Felle und trug ihn, sich schwerf?llig damit am Bette aufrichtend, der Thür zu. Ueber den Leuchter stolpernd, an den er nicht mehr gedacht, fand er aber doch zuletzt die Klinke, ?ffnete sie und warf den jungen winselnden K?ter mit einem zwar leise gemurmelten, aber desto herzlicher gemeinten Fluche ins Freie.

?So", sagte er dann, als er die Thür wieder sorgf?ltig geschlossen und sich zum Bette zurückfühlte, ?so, nun hat der Skandal auch ein Ende und ich werde doch einmal wenigstens zur Ruhe kommen. - O meine Leber!"

Und wieder unter seine Decke fahrend suchte er sich den leidenden Theil so bequem zu legen als m?glich und brachte dann seine rechte Hand an den Kopf, dort die ihm noch so schwere Sorgen bereitende Narbe seiner Balggeschwulst solange zu drücken bis sie ihm wehthat, und sich dann mit dem Gedanken zu qu?len, da? daraus jedenfalls einmal ein Krebsschaden entstehen müsse, der ihn langsam in sein Grab hinunterfr??e. Schon manche liebe lange Nacht hatte er auf ?hnliche Art im Schlafe gest?hnt und auch jetzt gewann die Müdigkeit eben wieder die Oberhand und sandte ihm schon in ungewissen schwankenden Traumbildern die Erlebnisse des vergangenen Tages. Aber diese kamen nicht in der erlebten Reihenfolge, sondern begannen mit dem letzten, denn er h?rte deutlich wieder das Winseln und Rascheln von vorher und wollte sich eben selbst im Traume mit dem Bewu?tsein tr?sten, da? es eben nur ein Traum sei, als das Ger?usch st?rker und lebendiger wurde und er sich endlich, ordentlich in die H?he fahrend, wieder im Bette aufrichtete, um darauf zu horchen.

?Jesus Maria Joseph!" rief er fast unwillkürlich als er zu der ganz unzweifelhaften Gewi?heit einer ganz neuen St?rung gelangte, ?da ist beim Himmel noch so eine Bestie darunter, und ich habe doch vorher ringsumher gefühlt. Na, an die Nacht will ich denken; wenn ich aber je zurück nach Gidelsbach komme, werde ich mir ein Vergnügen daraus machen, dem verdammten Doctor dieselbe Tour und ein Nachtquartier in dem Nest hier - wie hie? es gleich? - zu empfehlen. Der soll mir wiederkommen!"

Betrachtungen nutzten aber hier durchaus nichts; der junge Hund lie? sich weder weg noch zur Ruhe philosophiren, und nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen, trotz der ?Giftkr?te" wiedereinzuschlafen, mu?te der unglückliche Reisende, wenn er nicht die ganze Nacht solchen Experimenten opfern wollte, zum dritten male heraus aus dem Bette, den St?renfried zu entfernen. Wieder erwischte er ihn hinten im Nacken, trug ihn an die Thür, die er noch fest eingeklinkt fand, ?ffnete sie, warf ihn hinaus, schlo? sie wieder und ging zum vierten male heute zu Bette, der so n?thigen Ruhe zu pflegen.

Es war umsonst, und kaum hatte er lange genug gelegen, sich nicht mehr um das nun einmal Geschehene zu ?rgern, als das Winseln von neuem begann. Wieder str?ubte er sich gegen die Macht der Umst?nde, er mu?te noch einmal aus dem Bette, den dritten Hund hinauszuwerfen und selbst nach seinem Regenschirm tappte er jetzt umher, unter dem Bette, ehe er sich nun wieder hinlegte, umherzufühlen, ob nicht etwa noch solch eine kleine entsetzliche Bestie darunter versteckt sei, die nur auf den Augenblick seines Einschlafens mit boshafter Sicherheit warte. Er konnte nirgends mehr etwas entdecken; Stroh lag noch überall, aber kein Hund, und den Schirm an das Bett lehnend, wie in Vorahnung eines neuen Unheils, hatte er sich eben umgedreht und auf seine Lagerst?tte gesetzt, die Beine dann heraufzuziehen unter die Decke, als ein neues Rascheln, dem bald darauf das unselige Winseln folgte, ihm in Verzweiflung die Jagd aufs neue beginnen machte. Wohl suchte er jetzt seine Schwefelh?lzchen vor, dem Reste dieser unseligen Nachtl?rmer auf die Spur zu kommen, er fand sie, aber er hatte kein Licht mehr daran zu entzünden und fürchtete sich auch in dem vielen zerstreuten Stroh umherzuleuchten. Wie leicht konnte da Feuer entstehen, und das war Alles was ihm noch gefehlt. Mit dem Stocke stie? er jetzt in alle Winkel und Ecken, unter dem Bette nach jeder Richtung hin, unter die Commode, an deren scharfer Kante er sich das Schienbein besch?digte, und unter den Kleiderschrank, gegen den er mit dem Knie so heftig anrannte, da? er gegründete Ursache zu haben glaubte, den Schwamm zu befürchten.

?Vier junge Hunde!" murmelte er dabei leise vor sich hin, ?wo nur die Alte steckt, oder ob sich die am Ende auch noch meldet? - Vier solche kleine maliti?se T?hlen. Und wenn sie sich nur wenigstens gleich alle auf einmal gemeldet h?tten, dann k?nnte ich jetzt wenigstens schon eine Stunde schlafen. Au?erdem werde ich mir wol hier den Tod an den Hals holen mit meiner dünnen Kleidung und dicken Leber; - wenn ich nur den Doctor hier h?tte!" setzte er mit einer Art Ingrimm hinzu, als er sein Lager wieder suchte und sich laut aufseufzend zurück auf das Kissen warf.

Armer Commerzienrath - deine Ruhe sollte nur von entsetzlich kurzer Dauer sein, denn noch war er nicht einmal in seine Lieblingsstelle gerückt, als das jetzt f?rmlich unheimlich werdende Winseln von neuem begann. Wie von einer Natter gestochen sprang er im Bette empor. Fast unwillkürlich suchte auch die Hand nach seinen Pistolen, die er gewohnt war über seinem Bette zu wissen, wenn ihm die Erinnerung daran auch einen Stich durchs Herz gab, suchte nach dem Klingelzuge, Hülfe herbeizuholen gegen solche Qual. Weder das Eine noch das Andere war zu fühlen; nichts als die kahle schr?ge Wand, und eiskalt lief es ihm bei dem Gedanken über den Rücken, da? er es doch am Ende hier mit etwas Uebernatürlichem zu thun haben k?nne in dem fremden alten Geb?ude. Aber die jungen Hunde waren doch von Fleisch und Bein gewesen, hatte er nicht das warme weiche Fell in seiner Hand gefühlt bei ihnen allen? Und wo kam jetzt der neue Zuwachs her? Welchen Winkel im Zimmer mu?te er übersehen haben, und blieb es nicht r?thselhaft, da? sie sich nur immer solange stillhielten, bis er eben wieder im Bette lag?

Er wollte es jetzt durchsetzen und die kleine Kr?te winseln lassen solange es ihr beliebte, wickelte sich demzufolge entschlossen in seine Decke, aber - er war nicht im Stande es durchzuführen. Der feine winselnde Ton drang ihm durch Mark und Bein und er mu?te zuletzt wieder heraus, sie den andern nachzuschicken - um wieder und wieder dasselbe Spiel zu erneuern. Wie der unersch?pfliche Hut eines Taschenspielers, der Bouquets und Karten, Perücken, Eier und Taschentücher ausspeit in ununterbrochener Reihe, so lieferte das lockere Bettstroh junge Hunde, und der Commerzienrath - denn man gew?hnt sich ja an Alles -, der es zuletzt anfing ganz in der Ordnung zu finden, da? er sich die Nacht damit besch?ftige junge Hunde aus der Thür zu werfen, tr?stete sich beim neunten mit dem Gedanken, da? er noch nie geh?rt habe, wie eine Hündin mehr als neun Junge gehabt, und beruhigte sich beim zehnten damit, da? er zugab, sie k?nnten von zwei Hündinnen herrühren. Halb im Schlafe, denn er wurde nach und nach müde von der ungewohnten Arbeit, stand er auf, wenn er die furchtbaren Laute h?rte, griff unters Bett, zerrte die immer st?rker winselnde Bestie bei den Ohren vor und setzte sie in einem schon kaum mehr bewu?ten Zustande an die Luft, bis sich die andere meldete.

Erst mit d?mmerndem Morgen sollte er Ruhe finden; der halbe Hausknecht von gestern Abend kam schwerf?llig die Treppe heraufgeschlurrt, gerade als der Commerzienrath den siebzehnten aus der Thür schleuderte.

?Da", schrie er dabei, ?habt Ihr noch einen und der n?chste, der mir nun noch in die Kammer kommt, den werf ich aus dem Fenster, so wahr wie ich Hieronymus hei?e. Ist das hier ein Gasthaus für anst?ndige Reisende, wo die Kammer von Hunden wimmelt?" Und die Thür zuschlagend, da? die Fenster klirrten, warf er sich wieder ins Bett und h?rte nur noch wie der Hausknecht den kleinen K?ter aufgriff und streichelte und liebkoste und dann langsam mit ihm den Gang zurücktappte, wie er gekommen.

Weiter vernahm er nichts; seine Müdigkeit gewann endlich die Oberhand und er sank in einen festen fast krankhaften Schlaf, aus dem ihn der Hausknecht sp?ter, zu der gegebenen Stunde, kaum wieder herausrütteln konnte.

?Da ist schon wieder einer!" sagte er noch im Traume, der ihn auch selbst die wenigen Stunden hindurch verfolgt haben mu?te. ?Satansbestie, kleine, wenn ich dich jetzt nicht -"

?Papelt der irre?" sagte der Hausknecht ruhig, seine Operation ihn munter zu bekommen an ihm wiederholend, ?he holla - der Kaffee ist auf'm Tisch und die Post wird gar nicht mehr solange bleiben."

?Wer ist auf dem Tische?" fragte der Commerzienrath, pl?tzlich munter werdend und sich wie aus einem Pistol geschossen in seinem Bette aufrichtend. ?Heilige Mutter Gottes!" setzte er dann st?hnend hinzu, als ihm die Erlebnisse der letzten Nacht wieder in der Erinnerung auftauchten, ?bin ich nicht am ganzen Leibe wie ger?dert und zerschlagen. Und deshalb habe ich die Post weiterziehen lassen, hier eine ordentliche Nachtruhe zu halten, und nun - aber der Mamsell will ich meine Meinung sagen - wo ist die Mamsell?"

Der Mann aber, an den er die Frage zu richten gedachte, hatte sich, nachdem er seine Pflicht erfüllt und den curiosen Reisenden geweckt, dessen Kleider gereinigt auf dem Stuhle lagen, dessen Stiefel blank und blitzend vor dem Bette standen, wieder zu seinen andern Gesch?ften zurückgezogen, und dem Commerzienrath Mahlhuber blieb nichts übrig, als seinen Grimm noch auf kurze Zeit zu verbei?en und sich vor allen Dingen in die Kleider zu werfen. Himmel, wenn er den Postwagen vers?umte und am Ende gezwungen gewesen w?re, noch eine Nacht in diesem Hause, in dieser entsetzlichen ?grünen Stube" zuzubringen. Aber er hatte noch Zeit genug, und den dienstbaren Geist, der in Erwartung eines Trinkgeldes heute Morgen sehr flink bei der Hand war, wieder heraufrufend, lie? er ihm das Gep?ck hinunter ins Packzimmer tragen, damit es gewogen und weiterbef?rdert werden konnte.

Den Leuten unten aber, und besonders der Mamsell, wollte er einmal tüchtig seine Meinung sagen über eine solche Behandlung - er hatte sich den Rock schon bis oben hinauf zugekn?pft, recht entschlossen und determinirt auszusehen, und ging wirklich ein paar mal in seinem kleinen Zimmer mit schnellen Schritten auf und ab, die Zornesworte sich zu wiederholen, die er gegen sie auszuschleudern gedachte. War das eine Behandlung für einen anst?ndigen Mann, den Commerzienrath aus dem Spiele zu lassen? war es nicht niedertr?chtig einem Kranken den so n?thigen Schlaf f?rmlich abzustehlen, indem man nicht etwa Hunde zu ihm ins Zimmer that, nein, ihn f?rmlich in eine ganze Sammlung von kleinen nichtswürdigen winselnden heulenden Kr?ten hineinsperrte, als wenn man es darauf abgesehen habe ihn zugrunde zu richten? ?Sie - Mamsell, Sie", wollte er sagen und sie dabei mit einem durchbohrenden Blicke ansehen, ?wie dürfen Sie sich unterstehen -"

?Der Kaffee ist fertig", meldete der Hausknecht wieder, den Kopf über der Treppe zeigend, ?und wenn Sie nicht gleich kommen, k?nnen Sie keinen mehr trinken."

Keinen Kaffee trinken - der ganze Tag w?re ihm verloren gewesen, und rasch seine Reisemütze aufgreifend, stieg er mit schnellen entschlossenen Schritten, die aber vorsichtiger wurden, als er die etwas steile Treppe erreichte, hinunter.

Die Mamsell stand unten an der Treppe, und mit ihrem freundlichen L?cheln und einem versch?mten Blicke die Augen niederschlagend - sie dachte wahrscheinlich des Moments, in dem sie einander gestern Abend zum letzten male gesehen - sagte verbindlich:

?Wünsche herzlich wohl geruht zu haben und wollen Sie jetzt nicht gef?lligst n?hertreten und Ihren Kaffee einnehmen?"

Wohl geruht zu haben - nun auch noch Hohn zu alledem! - Wohl zu ruhen zwischen siebzehn Hunden, ohne die Alte, das war zu arg, und jetzt sollte sie es bekommen. ?Liebe Mamsell", sagte der Commerzienrath mit einer Stimme, der sich aber Rührung über das erlittene Unrecht beimischte, und die deshalb viel weicher klang als es überhaupt in seiner Absicht gelegen, ?liebe Mamsell, ich m?chte Sie sehr bitten -"

?Ach, verehrtester Herr Mahlhuber", unterbrach ihn aber die Mamsell rasch und fast ?rgerlich, ?Sie haben ja gar nicht um Entschuldigung zu bitten - ich war ja eigentlich Schuld daran."

?Um Entschuldigung bitten?" fragte der Commerzienrath, dem in dem w?rmern Zimmer die Brille angelaufen war, indem er den Kopf niederbog, über die Gl?ser wegzusehen, ?um Entschuldigung bitten -"

?Ich glaubte Sie h?tten sich lange zur Ruhe begeben - und wagte deshalb -"

?Ruh' begeben?" wiederholte der Commerzienrath und bog sich immer mehr herunter, den Ausdruck in der Wirthin Gesicht zu sehen, ?glauben Sie, verehrteste Mamsell, da? man sich überhaupt zur Ruh' begeben kann, wenn man das ganze Zimmer voll Hunde hat?"

?Voll Hunde, Herr Mahlhuber? - Aber ich bitte Sie um Gotteswillen, wie so denn voll Hunde?"

?Wenn man berechtigt ist", sagte der Commerzienrath seinen Grimm jetzt an dem mehr zug?nglichen Kaffee auszulassen, indem er zum Tisch trat, sich eine Tasse einschenkte und w?hrend des folgenden Gespr?chs trank, ?fast anderthalb Dutzend mit dem Beiwort ?voll? zu belegen, so kann ich verantworten, was ich behaupte; wollen Sie so freundlich sein und mir meine Rechnung geben?"

?Anderthalb Dutzend Hunde? - aber bester Herr Mahlhuber - bitte - 2 Gulden 15 Kreuzer macht das Ganze - anderthalb Dutzend Hunde? - wir haben nur einen einzigen kleinen jungen Pudel im Hause, den der Herr Postmeister vorige Woche erst mit von Bamberg gebracht hat."

?Einen einzigen?" rief Herr Mahlhuber entrüstet, indem er das Geld für sein Abendessen und Nachtquartier auf den Tisch legte, ?nennen Sie das einen einzigen? - siebzehn, sage ich Ihnen, siebzehn habe ich in dieser einen unglückseligen Nacht mit eigenen H?nden unter meinem Bette vorgeholt und aus der Thür geworfen, und - die Alte ist vielleicht noch oben."

?Siebzehn Hunde?" rief die Mamsell, das Geld erst überz?hlend und einsteckend und dann die H?nde über dem Kopfe zusammenschlagend, ?siebzehn junge Hunde?"

Der Commerzienrath nickte durch die Tasse Kaffee durch, die er gerade an den Lippen hielt.

?Aber wir haben nur einen einzigen im Hause, der allerdings immer da oben liegt und den ich gestern ganz vergessen hatte."

?Wollen Sie mir meine fünf Sinne und die schlaflose Nacht abstreiten?" rief der Reisende.

?Ach du mein Himmel!" rief die Mamsell, der jetzt pl?tzlich ein Licht über das Ganze aufzugehen schien, ?da ist die kleine Kr?te immer wieder durch das eingeschnittene Loch ins Zimmer gekommen."

?Was für ein Loch?" rief der Commerzienrath erschrocken.

?Was der Herr Postmeister hat oben in die Wand schneiden lassen, damit das kleine Thier die Stube nicht verunreinigen soll, wenn die Thür verschlossen w?re."

?Und Sie haben nur einen Hund?"

?Nur einen einzigen in der Welt."

?Und da h?tt' ich die kleine infernalische Bestie siebzehn verschiedene male zur Thür hinausgeworfen und jedesmal hinter ihr abgeschlossen, w?hrend sie zu dem verdammten Loche wieder hereinkam?"

Die Mamsell wollte etwas darauf erwidern, als in dem Augenblick die heranpolternde Post und das fr?hliche Blasen des Postillons sie abrief. Froh vielleicht, einem so unangenehmen Gespr?ch enthoben zu sein, sprang sie rasch hinaus, nach den neuen Passagieren zu sehen, ob sie vielleicht etwas verlangten, und der Commerzienrath hatte ebenfalls keinen Augenblick Zeit mehr zu verlieren, seine Passage und Ueberfracht zu bezahlen und einzusteigen.

Wie er gerade von dem Hausknecht gefolgt, der seine Utensilien trug, aus der Thür treten wollte, sa? der kleine Pudel ihm mitten im Wege und kratzte sich mit dem nur zu gut gekannten Winseln den wolligen Pelz. Der Commerzienrath hob auch in der That schon den Fu?, die kleine Bestie wenigstens in etwas für die schlaflose Nacht auszuzahlen, aber seine angeborene Gutmüthigkeit siegte; tief aufseufzend umging er den sich wenig oder gar nicht um ihn bekümmernden Pudel, der seine Besch?ftigung ruhig fortsetzte, und bestieg, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, den Postwagen.

* * *

            
            

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