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Hier ist ein M?nch, und des erschlagnen Romeo's Diener, die mit
Werkzeugen, diese Todten-Gr?ber aufzubrechen, ertappt worden sind.
Capulet. O Himmel!-O Weib! Sieh, wie unsre Tochter blutet! Dieser Dolch hat sich verfehlt; sieh, die Scheide ligt auf dem Rüken des Montaguen, und die entbl??te Klinge in meiner Tochter Busen-
Lady Capulet.
O Gott, dieser Anblik ist wie eine Todten-Gloke, die meinem grauen
Alter zu Grabe l?utet. (Montague zu den Vorigen.)
Fürst.
Komm, Montague-und sieh hier deinen einzigen Sohn und Erben-
Montague. Weh mir!-Mein Weib, Gn?digster Herr, ist in dieser Nacht verschieden-Der Gram über ihres Sohnes Verbannung hat ihr das Herz gebrochen-Was für ein neues Weh verschw?rt sich gegen mein graues Alter?
Fürst.
Schau hieher, so wirst du's sehen.
Montague.
O du übelgezogner, was für Lebens-Art war das, dich vor deinem
Vater so in's Grab zu dr?ngen?
Fürst. Haltet noch mit euern Klagen ein, bis wir diese verworrene Geschichte ins Klare gesezt, und ihren Ursprung und wahren Hergang herausgebracht haben; alsdann will ich selbst der Anführer euers Klag-Geschreys seyn-Bis dahin, haltet inn!-bringet die verd?chtigen Personen herbey!
Bruder Lorenz. Ich, der unverm?gendste, bin derjenige, den der st?rkste Verdacht drükt; Zeit und Ort scheinen mich dieses gr??lichen Mords anzuklagen; und hier steh ich, zugleich mein eigner Ankl?ger und Advocat zu seyn.
Fürst.
So sage dann, ohne Umschweiffe, was dir davon bekannt ist.
Bruder Lorenz.
Ich will kurz seyn, mein Athem ist ohnehin nicht lang genug für
eine langweilige Historie. Romeo, der hier todt ligt, war
Juliettens Gemahl, und Sie, die hier todt ligt, Romeo's getreues
Weib: Ich segnete ihre Ehe ein; und der Tag ihrer heimlichen
Verm?hlung war Tybalts Sterb-Tag, dessen unzeitiger Tod den neuen
Br?utigam aus dieser Stadt verbannte, und dieses, nicht Tybalts Tod,
war die Ursache von Juliettens Gram. Ihr,
(zu Capulet)
um ihr diesen Kummer aus dem Sinn zu bringen, versprachet sie dem Grafen Paris, und waret im Begriff, sie zu dieser Heurath mit Gewalt zu zwingen. In diesen Umst?nden kommt sie zu mir, und, mit wilden Bliken, bittet sie mich da? ich ihr ein Mittel an die Hand gebe, diese zweyte Heurath zu vermeiden, oder sie wolle sich in meiner Celle selbst ums Leben bringen. In diesem schwürigen Augenblik kam mir meine Wissenschaft zu Hülfe; ich gab ihr einen Schlaf-Trunk, dessen Würkung meiner Absicht vollkommen antwortete- denn er sezte sie in einen Zustand, der dem Tode so gleich sah, da? sie für eine Leiche angesehen, und so behandelt wurde. Inmittelst schrieb ich an Romeo, und bestellte ihn, da? er in eben dieser schreklichen Nacht, als der Zeit, worinn die Würkung des Tranks zu Ende gehen würde, hieher kommen, und mir helfen m?chte, sie aus ihrem geborgten Grabe heraus zu holen. Allein, Bruder Johann, der ihm meinen Brief überbringen sollte, wurde durch einen Zufall aufgehalten, und gestern kam mein Brief mir wieder zu; ich war also gen?thigt, um die bestimmte Zeit ihres Erwachens ganz allein hieher zu kommen, und sie aus der Gruft ihrer Familie zu befreyen: Des Vorhabens, sie so lange in meiner Celle verborgen zu halten, bis ich Gelegenheit f?nde, den Romeo hieher zu beruffen. Aber wie ich kam, (wenige Minuten vor ihrem Erwachen) da lag der edle Paris hier erschlagen, und der allzugetreue Romeo todt. Sie erwacht, und ich bitte sie inst?ndigst mit mir zu gehen, und diese Schikung des Himmels mit Geduld zu tragen: Allein ein Get?se, das ich gleich darauf h?rte, scheuchte mich von der Gruft weg, und sie, verzweifelnd und entschlossen zu sterben, wollte nicht mit mir gehen, sondern legte, wie es scheint, gewaltsame Hand an sich selbst. Alles dieses wei? ich, und von der heimlichen Heurath kan auch ihre Amme Zeugni? geben: Ist aber in allem diesem etwas durch meine Schuld gefehlt und zu diesem unglüklichen Ausgange gebracht worden, so la?t immer mein altes Leben, etliche Stunden vor meiner bestimmten Zeit, der Strenge des Gesezes aufgeopfert werden.
Fürst.
Wir haben dich jederzeit als einen heiligen Mann gekannt. Wo ist
Romeo's Diener? Was kan Er von der Sache berichten?
Balthasar. Ich brachte meinem Herren die Zeitung von Julia's Tod, und sogleich kam er mit Post-Pferden von Mantua hieher, unmittelbar hieher, zu dieser nehmlichen Gruft; übergab mir diesen Brief an seinen Vater, und dr?ute mir, indem er auf die Gruft zugieng, den Tod, wenn ich nicht weggehen und ihn allein lassen wollte.
Fürst.
Gieb mir den Brief, ich will ihn übersehen-Wo ist des Grafen Knabe,
der die Wache herbeyholte? Bursche, was machte dein Herr an diesem
Orte?
Knabe. Er kam, das Grab seiner Geliebten mit Blumen zu bestreuen, und befahl mir von Ferne stehn zu bleiben, wie ich auch that; bald darauf kommt einer mit einem Licht, die Gruft zu ?ffnen, und augenbliklich zieht mein Herr den Degen gegen ihn; und da lief ich und holte die Wache.
Fürst. Dieser Brief bekr?ftiget die Erz?hlung des Ordens-Manns-und hier schreibt er, da? er Gift von einem armen Apotheker gekauft, und damit in diese Gruft gekommen sey, um zu sterben und in Juliettens Grab zu ligen-Wo sind diese Feinde? Capulet! Montague! Seht hier die Ruthe, womit euere Unvers?hnlichkeit gezüchtiget wird; seht wie der Himmel Mittel findet, durch die Liebe selbst die Freuden euers Lebens zu t?dten. Auch ich, weil ich zuviel Nachsicht gegen euere Uneinigkeiten hatte, habe zween Verwandte verlohren: Wir sind alle gestraft!
Capulet.
O Bruder Montague, gieb mir deine Hand; das ist meiner Tochter
Witthumb-mehr kan ich nicht verlangen.
Montague. Aber ich kann dir mehr geben; denn ich will ihre Bild-S?ule von gediegnem Gold aufstellen, da?, so lange Verona diesen Namen tr?gt, kein Denkmal dem Denkmal der z?rtlichen und getreuen Juliette gleich gesch?zt werde!
Capulet. Eben so gl?nzend soll Romeo bey seiner Gattin ligen; theure, unglükliche Opfer unsrer unseligen Feindschaft!
Fürst. Dieser Morgen bringt uns einen düstern Frieden, und die Sonne selbst scheint trauernd ihr Haupt verhüllt zu haben-Geht, und erwartet unsre Entscheidung, was in diesem unglüklichen Handel Strafe und was Verzeihung verdient-[Ihr aber, getreue Liebende, die ein allzustrenges Schiksal im Leben getrennt, und nun ein freiwilliger Tod auf ewig vereiniget hat, lebet, Juliette und Romeo, lebet in unserm Andenken, und die sp?teste Nachwelt m?ge das Ged?chtni? eurer unglüklichen Liebe mit mitleidigen Thr?nen ehren!]
Romeo und Juliette, von William Shakespeare
(übersetzt von Christoph Martin Wieland).